Whisper
Davids Stimme, kein Wort, eher ein Fauchen. Er wollte auf Robert losgehen, aber Noa schrie ihn an: »Er war’s nicht. Lass ihn los, er war’s nicht. Dennis, es war Dennis. Robert hat mir geholfen.«
David ließ die Hände sinken und Robert stand auf. Das Lächeln auf seinem Gesicht hatte etwas unendlich Trauriges. »Also dann, vielleicht bis heute Abend«, sagte er zu Noa. Dann hob er seinen Korb vom Boden auf und ging. Die roten Blüten ließ er liegen, einige hatte bereits der Wind in verschiedene Richtungen geweht.
Noa war viel zu aufgelöst, um seine Worte richtig einzuordnen. David drückte sie an sich. »Ich bin zu spät gekommen«, flüsterte er. »Ich hatte dieses Gefühl, deshalb bin ich umgekehrt. Aber ich bin zu spät gekommen. Was hat er dir getan, Noa? Was hat das Schwein dir angetan?«
Da waren sie wieder, die Bilder. Nicht die von eben, nicht der Feuermelder trat vor ihr inneres Auge. Heiko war es. Wie vorhin tauchte sein Gesicht auf, erst verschwommen und dann immer schärfer, wie ein Bild, das sich langsam entwickelt, und Noa hatte ein Gefühl, als ob in ihr eine Schranke aufbrach, die einen lange aufgestauten Strom freigab. Heute Vormittag im See mit David war es die Freude gewesen, die aus ihr herausgeschossen war, und nun war es das Gegenteil. Noa schlug die Hände vors Gesicht, wie um sich zu schützen, aber der Film lief wieder in ihr ab und sie sank nach unten, David mit sich ziehend.
»Es war mein fünfzehnter Geburtstag«, hörte sie sich sagen.
»Svenja und Nadine hatten mir die Party aufgeschwatzt, obwohl ich eigentlich nicht feiern wollte. Aber Kat bot mir sofort die Garage an, nur ins Haus sollte ich niemanden lassen. Sie selbst war an dem Abend weg, auf irgendeiner Preisverleihung. Ich hatte zwanzig Leute eingeladen, aber irgendwann waren wir fünfzig und viele, die kamen, kannte ich nicht mal. Sie brachten Alkohol mit, jede Menge. Svenja und Nadine waren schon um neun total betrunken, auch Heiko, auch ich, wenn auch am wenigsten von allen. Wir haben getanzt, stundenlang, die Tanzfläche war winzig, ich stand in der Mitte, umringt von den anderen, Nadine hatte Rotlicht angebracht, es flackerte mir wie blöd in den Augen und irgendwann kam Heiko immer näher auf mich zu, nahm mich in den Arm, küsste mich und zog mich dann nach oben, in mein Zimmer. Wir waren schon seit ein paar Monaten zusammen, ich war furchtbar in ihn verliebt, aber ich wollte nicht mit ihm schlafen, ich war einfach noch nicht bereit dazu. Heiko war älter als ich, achtzehn, und jedes Mal, wenn ich ihn abwehrte, wirkte er genervt. Ich hatte furchtbare Angst, ihn zu verlieren, jedes Mal. An diesem Abend war es am schlimmsten. Am liebsten hätte ich ihn nur geküsst, mich von ihm streicheln lassen, aber seine Hände wurde immer ungeduldiger, sein ganzer Körper wurde fordernder, grober. Er flüsterte mir ins Ohr, er sei mein Geburtstagsgeschenk, heute würde er sich nicht abweisen lassen – und als er mich ansah, machte mir plötzlich etwas ganz anderes Angst. Da war etwas in seinen Augen, er kam mir vor wie ein Tier auf Jagd. Natürlich, ich hätte mich wehren können, wahrscheinlich hätte schon ein lautes Nein genügt. Schließlich war er ja kein Tier, er war Heiko – aber ich war plötzlich nicht mehr ich. Innerlich habe ich geschrien, aber äußerlich war ich wie eine Puppe, still und stumm. Ich glaube, das ist immer noch das Schlimmste, dass ich stumm geblieben bin. Dafür habe ich mich so geschämt. Ich hab ihn einfach machen lassen, als sei ich nicht dabei. Es hat zwei Minuten und dreizehn Sekunden gedauert. Ich weiß es, weil ich den Kopf zur Seite gedreht und die ganze Zeit auf meinen Wecker gestarrt habe. Es war ein Mickymauswecker, auf dem Sekundenzeiger saß Mini, die Maus mit dem rot gepunkteten Kleid. Ich bin ihrem Ritt über die Zahlen gefolgt und dabei hab ich gedacht, wie schön es sein muss, fliegen zu können.
Als Heiko fertig war, ist er aufgestanden und hat »Herzlichen Glückwunsch« gesagt. Dann ist er runtergegangen. Ich habe die Tür abgeschlossen und mich unter meiner Decke verkrochen. Svenja kam, bollerte an die Tür, dann kam Nadine, aber ich habe mich tot gestellt, bis sie wieder gingen. Dann habe ich Kat angerufen, ich habe ihr nicht gesagt, was passiert war, ich wollte einfach nur, dass sie kommt. Aber sie sagte, sie könne jetzt nicht weg, ich solle Gilbert anrufen. Er kam sofort, hat alle rausgeschmissen und sich an mein Bett gesetzt, bis ich einschlief. Zwei Monate später war
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