Whisper
tapfer, David. Ich denke nur, du solltest aufpassen, dass du nicht zu tapfer bist.«
»Oh vielen Dank«, sagte David ironisch. »Und was sind deine Träume? Willst du Seelenklempner werden?«
»Nein«, sagte Noa schlicht. »Ich möchte Fotografin werden. Ich möchte Fotografie studieren.«
»Herzlichen Glückwunsch. Und das Geld dazu kommt sicher von Mutti frisch auf den Tisch.«
»Ja«, sagte Noa. »Kat wird mich zum Glück unterstützen. Aber ich würde auch studieren, wenn sie das nicht täte.«
»Das freut mich für dich. Könnten wir jetzt bitte das Thema wechseln?«
Noa schwieg. Wie konnte es möglich sein, dass David auf der einen Seite so feinfühlig und zärtlich, so verständnisvoll war und auf der anderen so bitter, zynisch und verschlossen? Davids Vorschlag, das Thema zu wechseln, hatte sie beide verstummen lassen und die Stille am See war Noa plötzlich unangenehm. Sie wandte sich ab und ließ den Blick über das Ufer schweifen. Einer der Bäume, ein langer, dünner, der dicht am See stand, hatte einen ganz sonderbaren Ast. Eine schmale blutrote Linie musterte ihn. Wie eine Schlange wand sie sich um das dunkle Holz, und als Noa die Augen zusammenkniff, erkannte sie, dass die Schlangenlinie aus Blüten bestand. Dunkelrote Blüten, dicht an dicht. Noa fragte sich gerade, ob Robert auch hier am Werk gewesen war, als ein Geräusch sie auffahren ließ. Es war von hinten gekommen, David hatte es scheinbar auch gehört, aber als sie sich umdrehten, stoben nur ein paar Krähen in die Höhe und verschwanden im Himmelsblau. Während David eine Zigarette nach der anderen rauchte, dachte Noa an Kat, an ihre Worte, wenn Gilbert sie auf ihre Affären ansprach, seine Fragen, warum sie feste Beziehungen so scheute. »Männer und Frauen passen aufeinander, nicht zueinander«, sagte Kat dann immer. »Mit einer Beziehung kauft man nur Probleme und davon hab ich allein schon genug.« Irgendwann stand Noa auf und nahm ihre Kamera. »Ich mache einen Spaziergang«, sagte sie.
Sie fühlte, dass David ihr nachsah, und wünschte plötzlich, sie hätte ihr Handtuch mitgenommen.
Als Noa wiederkam, war David weg, mit all seinen Sachen. Auf ihrem Handtuch, beschwert mit einem herzförmigen Stein, lag ein beschriebenes Blatt Papier.
»Es tut mir Leid, Noa. Auch du musst Geduld mit mir haben. Kommst du heute Abend wieder mit ins Freiluftkino? Wir könnten ein Picknick machen. Dein David.«
Dein David, dachte Noa. Er hat »Dein David« geschrieben.
Sie presste den Zettel an ihre Brust und schloss die Augen. Für eine Weile lag sie da, schaute in den wolkenlosen tiefblauen Himmel, lauschte dem Gröck-Gröck-Orrr des Haubentauchers und beschloss vor dem Rückweg noch einmal im See zu baden. Sie fühlte sich wie der einzige Mensch auf der Welt, aber glücklich dabei – und als sie wiederkam und gegen das Sonnenlicht auf ihr Handtuch schaute, dachte sie im ersten Moment, David sei zurückgekehrt.
Aber der Junge, der auf ihrem Handtuch saß, war nicht David. Es war Dennis Kord, der Feuermelder.
ACHTZEHN
Thomas winselt, als Robert ihm das Taschenmesser an die Brust setzt. Sein Bruder strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Obwohl er nur zwei Jahre jünger als Robert ist, sieht er noch aus wie ein Kind. »Wer meinem Bruder was antut, den mach ich fertig«, sagt Robert. Das glaube ich ihm. Aufs Wort.
Eliza, 5. August 1975
J a, wen haben wir denn da?«
Der Feuermelder war aufgestanden, er trug Cordhosen und Springerstiefel, die er jetzt auf Noas sonnengelbem Handtuch abtrat, als sei es eine Fußmatte. Seine Nase war blau geschwollen, ein sicheres Zeichen der Prügel, die er von David bezogen hatte. Sein rotes Haar glänzte fettig im Sonnenlicht, er hatte es mit Gel zurückgeschmiert und ebenso schmierig war sein Blick, der jetzt an Noa herabglitt, langsam und abschätzend, als mustere er ein Stück Fleisch. In der einen Hand hielt er eine Dose Bier, in der anderen Noas Kamera.
»Hey Jungs, kommt mal kucken, dann könnt ihr die kleine Petze von nahem sehen. Ganz schön mager das Hühnchen, wenn ihr mich fragt.«
Hinter den Fichten tauchten die drei anderen Jungs auf, Dennis’ Meute, die Noa nur als bedrohliche Hintergrundstatisten wahrnahm. Das war also das Geräusch von vorhin gewesen.
Von vorhin? Wie viel Zeit war vergangen? Wie lange hatten sie in ihrem Versteck gelauert und sie beobachtet?
Dumpf grinsend, standen die drei da, breitbeinig, alle in Springerstiefeln, die Hände in den Hosentaschen und die Blicke auf ihren
Weitere Kostenlose Bücher