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Whisper

Whisper

Titel: Whisper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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eintreten.
    Das untere Geschoss, ein einziger, riesiger Raum mit einem Erker am hinteren Ende, schien Atelier und Wohnraum in einem zu sein.
    In seiner Mitte stand ein gut vier Meter langer Esstisch aus dunkelbraunem Holz, gedeckt mit weißen Tellern, schlicht, aber teuer, wie man sie in einem guten Restaurant finden würde. In einer Ecke gab es eine Matratze mit großen Kissen und dicken weißen Kerzen auf abgeschlagenen Baumstümpfen, und das Atelier im Erker war ein wüstes Durcheinander aus Leinwänden, Farbtiegeln, Pinseln und Werkzeugen. Überall an den Wänden lehnten Bilder, die meisten waren abstrakte Zeichnungen in aggressiven Farben, aber es gab auch Fotos von Arbeiten, die Robert in der Natur gemacht hatte. Skulpturen aus Blättern, Zweigen, Steinen und Erde. Auch die Fotos von dem umgerissenen Baum im Wald und dem mit Blüten verzierten Ast vom Seeufer entdeckte Noa und fing Roberts Lächeln auf, als sie ihren Blick von den Fotos löste.
    Am Fuß der Holztreppe, die vom Erdgeschoss aus nach oben führte, stand ein Klavier und aus den in die Wand eingebauten Boxen drang Musik von Chopin.
    »Setzt euch«, sagte Robert. »Ich verschwinde noch mal kurz in die Küche.«
    Es gab Reh.
    Noa bekam keinen Bissen herunter. Immerzu musste sie an das Tier denken, das Kat an ihrem ersten Abend überfahren hatte, an die schmale Blutspur, die aus seinen Hinterkopf auf das Pflaster geronnen war. In Gilberts Augen las sie, dass er an dasselbe dachte und nur zu höflich war, um das Essen abzulehnen.
    Kat aß für drei, ließ sich von Robert gerade das vierte Glas Rotwein einschenken und war dabei unaufhörlich in Bewegung mit ihren Händen, die mit dem Besteck klapperten, sich das afrikanische Wolltuch aus der Stirn rückten, über Gilberts Edelhemd fuhren, das Glas zum Mund führten oder beim –ebenfalls unaufhörlichen – Reden in der Luft gestikulierten. Es war wie immer kein Raum für irgendetwas anderes außer für Kat. Gerade war sie bei ihrer Lieblingsgeschichte angelangt, der Geschichte mit dem Achseltoupet. Noa konnte sie nachbeten, so oft hatte Kat sie schon erzählt, aber sie tat es immer wieder mit demselben Eifer, wie eine Theaterschauspielerin, die Abend für Abend dieselbe Rolle spielt, nur vor neuem Publikum.
    »Vor Drehbeginn«, sagte sie gerade, »rief mich jedenfalls die Visagistin an und fragte mich nach der Farbe meiner Achselhaare. Rot sagte ich, wenn ich Achselhaare hätte, wären sie rot, aber ich habe keine, ich trage Glatze unterm Arm, ich bin ja nicht Julia Roberts, die laut Presse auf ihre Büschel stehen soll, ich rasiere mich. Und die Visagistin meinte, deshalb riefe sie ja an. Schließlich spiele der Film in den Siebzigern, wo sich Frauen eben nicht rasierten, und da in der nächsten Woche die Dreharbeiten begännen, müsste sie mir eine Perücke besorgen, damit ich eine authentische Leiche abgebe. Ich wurde in einem Whirlpool ermordet und musste eine Weile drin liegen, bis mich jemand fand. So weit, so gut: Das Toupet passte, die Szene war nach drei Anläufen im Kasten, aber dann beim Schnitt fragte der Cutter plötzlich: Was schwimmt denn da für ein Haarbüschel im Whirlpool rum? Dreimal dürft ihr raten –mein Achseltoupet! Das Teil hatte sich von meiner linken Achsel gelöst und schipperte auf der Whirlpool-Oberfläche.«
    Kat kicherte, nippte an ihrem Rotwein und blickte zu Robert auf, der sein Glas in den Händen wiegte und sie ansah, mit seinen schwarzen, eng beieinander stehenden Augen und diesem seltsamen Ausdruck darin, der alles und nichts sagte. Er lachte nicht über ihre Geschichte, lächelte nicht mal, was Kat noch nervöser machte, da Robert auf eine Weise bei ihr war, die sie nicht gewohnt zu sein schien. Es war, als ob er versuchte ihr Wesen hinter den Worten abzutasten und dabei in Gefilde drang, in denen Kat ihrer selbst nicht mehr Herr war.
    Noa war gewohnt, dass Kat sich in den Mittelpunkt stellte, ungeachtet anderer Bedürfnisse, aber diese angespannte Nervosität bei ihr kannte sie nicht, sie war völlig untypisch für Kat, die Noa plötzlich vorkam wie ein Schulmädchen. War es das, was Kat an Robert faszinierte? Dass er ihr Spaßkanonengehabe an sich abprallen ließ, ihr nicht den Hof machte, wie all die anderen?
    Während Roberts Blick noch immer auf ihrem Gesicht ruhte, zupfte Kat an ihrem Hemd herum, Noa sah, wie ihre Hände zitterten, und spürte, wie ihre Mutter in sich nach neuen Worten angelte, aber keine fand.
    »Können Sie uns etwas über Ihre Bilder

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