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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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die sich zu
primitiven Menschenfressern zurückentwickelt haben. Und wir Überlebenden versuchen
uns irgendwie durchzuschlagen und in Sicherheit zu bringen.
    Â»Ich muss weiter«, sage ich ihnen. »Ich muss Nick finden, wenn er
noch lebt.«
    Â»Er lebt«, entgegnet die versteinerte Frau.
    Â»Wie …«
    Irini senkt den Kopf. »Meine Schwester hat das Zweite Gesicht. Sie
weiß viele Dinge. Sie ist die Sibylle, das Orakel von Delphi, das es seit
Jahrhunderten nicht mehr gab.«
    Â»Still, Schwester. Die Götter waren grausam genug. Gib ihnen keinen
Grund, noch mehr von dir zu fordern.«
    Â»Was könnten sie denn noch fordern?«, fragt sie ruhig.
    Â»Du lebst, oder?«
    Â»Das ist kein Leben«, faucht Irini. Im nächsten Moment senkt sie
reumütig den Kopf. »Entschuldige. Das war gedankenlos von mir.«
    Die Frau aus Stein blickt mich an. »Ich flehe dich an, nimm sie
mit!«
    Irini hebt mit einem Ruck den Kopf. »Nein.«
    Â»Geh mit ihr.«
    Â»Ich muss hierbleiben, Schwester. Wer wird dir Essen und Wasser
bringen?«
    Â»Meine Zeit ist fast abgelaufen. Begleite die Amerikanerin und sieh
zu, dass ihr Kind das Licht dieser kaputten Welt erblickt. Vielleicht entsteht
etwas Gutes daraus. Alles hat seinen Zweck und Sinn. Dein Zweck besteht jetzt
darin, ihr beizustehen.«

    Die Schreie wecken mich am dritten Morgen. Die Hände an den
Bauch gepresst, renne ich den Pfad nach oben zu Irini, die vor Entsetzen
erstarrt scheint. Mein Gehirn verarbeitet die Szene wie ein Ermittler, in einer
Serie von Farbaufnahmen, die kein Detail auslassen. Der Kopf der steinernen
Frau baumelt in einem unnatürlichen Winkel zur Seite. Die nutzlosen Gliedmaßen
sind abgehackt und bilden die Buchstaben S und ein T in einem Wort, das mit
scharlachroter Farbe auf den Boden gepinselt ist.
    MONSTER .
    Mein Verstand blättert die schaurigen Bilder immer schneller durch.
    Â»Wir müssen aufbrechen. Sofort.«
    Irini erhebt keinen Widerspruch. Überlegt und gelassen holt sie ihre
Sachen zusammen und verstaut sie ordentlich in einer Übernachtungstasche aus
hochwertigem Leder – die Art von Reisezubehör, das Generationen überdauert und
im Lauf der Zeit eine immer schönere Patina erhält. Minuten später sind wir unterwegs,
mit Esmeralda im Schlepptau.

    Â»Kein Geist.«
    Â»Nein.«
    Â»Wer dann?«
    Ich weiß, was sie hören will. Eine Erklärung, die den Tod ihrer
Schwester verständlich macht. Aber alles, was ich ihr bieten kann, ist eine
unwahrscheinliche Geschichte, die wie eine Lüge klingt. Ich erzähle ihr
zunächst die Kurzform und fülle die Lücken nach und nach mit Einzelheiten.
Meine Worte verraten, wie sehr ich es bereue, dass ich mich nicht zwei- oder
gar dreimal vom Tod des Schweizers überzeugt habe.
    Â»Warum?«, fragt sie.
    Â»Warum was?«
    Â»Warum du?«
    Â»Ich weiß es nicht.«
    Â»Du musst es wissen.«
    Â»Ich weiß es aber nicht.«
    Â»Warum dann diese Jagd?«
    Was steckt hinter dem Tun und Treiben von Verrückten? Warum bin ich
durch die halbe Welt gereist, um einen Mann zu finden?
    Â»Ich weiß es nicht.«
    ZEIT: DAMALS
    Ich hinterlasse einen Zettel im Karton und stelle ihn vor
der Eingangstür ab. Als Morris kommt, liest sie die Nachricht mit betonten
Lippenbewegungen.
    Â»Cracker und Twinkies?«
    Â»Alles andere würge ich gleich wieder aus«, erkläre ich durch die
Glastür.
    Sie zuckt die Achseln und kratzt sich an der Nase. »Okay.« Dann
verschwindet sie mit dem Karton auf der anderen Straßenseite. Wir praktizieren
das nun seit einer Woche: Ich stelle den Karton vor die Tür; sie kommt ein paar
Minuten später mit neuen Vorräten zurück.
    Diesmal allerdings braucht sie so lang, dass ich zweimal die
Toilette im Erdgeschoss aufsuchen muss, um mich zu übergeben. Schließlich
taucht sie mit leeren Händen auf.
    Â»Wo ist mein Karton?«
    Â»Komm mit! Der Doktor will dich untersuchen.«
    Â»Ich bin in Quarantäne.«
    Â»Das macht ihm nichts aus.«
    Â»Wenn er meint.«
    Â»Er meint.«
    Zögernd öffne ich die Tür, betrete den Bürgersteig und halte
reichlich Abstand zwischen uns. Unsere Stiefel hallen durch den Flur, sobald
wir die alte Schule betreten. Aber während sie locker und gut gelaunt
vorausläuft, schleppe ich eine schwere Last hinter mir her.
    Joe erwartet uns in der Krankenstation. Er bläst in

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