White Horse
mene, muh. Die StraÃe bietet eine groÃe Auswahl an
leeren Häusern, aber keines behagt mir sonderlich. Oh, sie machen alle einen
guten Eindruck: Büro- und Geschäfts- und Wohngebäude, in Massivbauweise aus
Ziegeln oder Bruchstein errichtet. Das Dumme ist nur, dass ich mich wie ein
Eindringling in einem fremden Heim fühlen würde, auch wenn die Besitzer längst
fort sind.
Nicht irgendwo im Urlaub. Tot. Und du warst daran
nicht unbeteiligt.
Morris hüpft wie ein aufgeregter Whippet an ihrem Bürofenster auf
und ab. Sie deutet nach gegenüber auf eine Filiale von Kinkoâs. Der Laden hat
offiziell nie geschlossen. Nur benötigt jetzt niemand mehr Druckerzeugnisse. Im
Obergeschoss befand sich vor dem Chaos eine kleine Steuerberatungsfirma. Keine
Betten, aber ein solides Sofa im Wartezimmer, wie Morris mir berichtete. Sie
möchte, dass ich mich dort einquartiere.
Ich winke ihr schlapp und lustlos zu. Ich will da nicht hin. Aber es
muss sein. Ich habe keine Wahl. Noch einmal werfe ich von auÃen einen prüfenden
Blick auf mein neues Domizil. Da stehe ich, allein, mit meinem Rucksack, dessen
Riemen in die Schultern einschneiden, und diesem Karton in beiden Händen. Einen
Moment lang balanciere ich den Karton auf einem Knie, um das Gewicht
auszugleichen. Dann betrete ich das Gebäude. Die früheren Bewohner oder auch
Morris und ihre Crew haben es mir leicht gemacht. Die Tür aus Gitterstäben und
Glas schwingt praktisch von selbst auf. Aber wer hier gewaltsam einzudringen
versucht, wird genug Lärm veranstalten, um einen Toten aufzuwecken.
Also mich. Der Gedanke entlockt mir ein kurzes Lachen. Wer hätte je
gedacht, dass der Tod auch seine amüsanten Seiten hat?
Es stimmt. Das langweilige Wartezimmer enthält ein Sofa, zwei
passende Sessel und einen billigen Schreibtisch. An manchen Stellen ist das
Laminat aufgeworfen und weist dunkle Kaffeeränder auf. Meine Knie geben nach;
ich setze mich auf die Kante des Sessels, dessen Lehne nicht zum Fenster hin
weist und stelle den Karton zwischen meinen FüÃen ab.
Was habe ich hier?
Einen groÃartigen Ausblick mit direkter Sichtlinie in das Büro von
Morris; alle Klamotten, die ich schleppen konnte; Toilettenartikel,
Lebensmittel, Wasser und Bettzeug; eine extra-miese Stimmung, die irgendwo
hinter meinen Augen beginnt und so weit reicht, dass sie sogar meine Zehen
erfasst. Ich will etwas beschädigen, kaputt machen, für immer zerstören.
Die Wand ist meiner Stiefelspitze nicht gewachsen. Es dauert nicht
länger als etwa zwanzig kräftige Kicks, bis der Rigips durch ist. Auf dem Boden
sammelt sich ein Häufchen Staub, das mich an Brausepulver erinnert. Wem schicke ich den Scheck für die Reparatur?
Eine Woge der Ãbelkeit schwappt über mich hinweg wie über einen
verlassenen Strand. Wieder gehe ich in die Knie und bete zu den Göttern
billiger Teppichböden.
Bitte, lasst mich schnell sterben.
ZEIT: JETZT
Lange Schatten fallen von Ost nach West über das
Kopfsteinpflaster des FuÃwegs. Die Sonne ist noch neu am Himmel und hat bis
jetzt wenig Selbstvertrauen. Ich schlendere von Raum zu Raum und mache kein
einziges Mal Halt, um die Relikte der Toten zu betrachten. In der Luft liegt eine
Stille, die meine Intuition anregt und mir sagt, dass ich allein bin. Also
teste ich sie und stelle fest, dass mich meine Instinkte nicht belügen: Irini,
die Medusa von Delphi, ist nicht hier. Es gab eine Zeit, da mich das nicht
gestört hätte, doch das liegt eine Weile zurück. Ich bin ruhig. Ehrlich. Das
bestätigen mir die groÃen Fenster des Museums. Das Herz, das mir bis zum Hals
klopft, ist die Lüge. Ein Märchen, von meinen Hormonen und Ãngsten einzig und
allein zu dem Zweck erfunden, meine Paranoia zu nähren.
Die Stufen sind leer. Auch auf dem FuÃweg ist niemand zu sehen auÃer
Esmeralda, die an Gräsern rupft und sich mit anderen Dingen beschäftigt, die
Esel für wichtig erachten. Ihre Gelassenheit legt sich wie eine kühlende Hand
auf meine Stirn und rät mir, mich abzuregen. Meine Ohren horchen angestrengt.
Mein Gehirn verarbeitet die Botschaft. Aber mein Puls hämmert immer noch viel
zu laut und schnell.
Wir sind gestern dort hinaufgestiegen, Irini und ich, nur so weit,
dass sie mir die bedeutendsten Ruinen zeigen konnte: das Stadion, den
Apollotempel, die Tholos â einen Rundbau, von dessen ursprünglich zwanzig
dorischen Säulen
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