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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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einen
Latex-Handschuh, hält ihn sich an den Kopf und grinst. »Kikeriki, ich bin ein
Gockel. Wie lange ist Nick jetzt fort?«
    Morris sieht mich an. »Sechs Wochen.«
    Â»Sechs Wochen, zwei Tage und sechs Stunden. Mehr oder weniger.«
    Sie zieht eine Augenbraue hoch und kratzt sich an der Nase.
    Der Doc zieht eine Schublade auf, kramt darin herum und wirft mir
eine Schachtel zu. Ich starre sie unbewegt an.
    Â»Wann hattest du deine letzte Periode?«
    Â»Keine Ahnung.«
    Morris schnaubt verächtlich. »Bei all dem Stress müssen unsere
Blutungen doch aussetzen.«
    Â»Hast du verhütet?«
    Meine Wangen brennen. »Meistens.«
    Â»Nun ja, dann hat das Zeug meistens gewirkt«, sagt Joe so strahlend,
dass es mir die Tränen in die Augen treibt.
    Obwohl die Schachtel leicht in meiner Hand liegt, hat sie plötzlich
das Gewicht eines Ziegelsteins. Ich kann nicht schwanger sein. Ich wollte Kinder
haben, sicher, aber nicht so. Nicht jetzt.
    Joe macht einen Knoten in den Handschuh. »Kannst du mal auf den
Streifen da pinkeln?«
    Morris führt mich aus der Station. Wie betäubt lasse ich zu, dass
sie mich zu den Toiletten bringt. Sie geht auf und ab, während ich den
Teststreifen unter meinen Urinstrahl halte. In dem weißen Fenster beginnen sich
zwei rosa Linien abzuzeichnen.
    Â»Wie viele Striche?«, fragt Morris.
    Â»Zwei.«
    Schallendes Gelächter.
    Â»Bin ich froh, dass wenigstens eine von uns das komisch findet.«
    Â»Ich hab keine Ahnung, wo die kleinen Kinder herkommen«, kreischt
sie vergnügt.
    Joe grinst, als wir zurückkommen. »Sieht so aus, als sei dein
Todesurteil in lebenslängliches Gefängnis umgewandelt.« Er wirft mir einen
Glasbehälter zu. Die Ironie des Pillengeklappers entgeht mir nicht.
»Pränatal-Vitamine.«

    Wie alle weniger guten Ideen wird diese hier mitten in einer
schlaflosen Nacht geboren, als meine Gedanken wie so oft in die Kindheit
zurückwandern. Ich habe in dieser Nacht bereits andere Seiten meines Lebens
durchgeblättert: die Momente der Reue und die Blamagen, die mir heute noch die
Schamröte ins Gesicht treiben; all die Entscheidungen, die ich getroffen, und
all die Gelegenheiten, die ich verpasst habe, während ich die Nebenstraßen des
Lebens durchstreifte. Dann bin ich sieben, sechs, fünf, vier, drei Jahre alt
und ziehe Feeney, meinen Stoffaffen, in einem kirschroten Wagen hinter mir her.
Ein unsichtbarer Finger zieht an einer meiner Herzsaiten und hält sie gespannt,
bis ich mich verzweifelt danach sehne, den Affen wiederzusehen. Die Sehnsucht
entwickelt sich zu einem schmerzhaften Traumbild, in dem ich Hand in Hand mit
Nick dastehe und unserem Kind zuschaue, das mit Feeney unter dem Arm seine
ersten unsicheren Schritte wagt.
    Als ich aufwache, ist mein Kissen nass.

    Beim Frühstück erzähle ich Morris von Feeney.
    Â»Ich begleite dich«, sagt sie.
    Â»Wie bitte?«
    Â»Du hast doch vor, das Haus deiner Eltern aufzusuchen, oder?«
    Sie kennt mich zu gut. »Durchschaut.«
    Â»Zuerst Kaffee. Danach versuchen wir Fahrräder aufzutreiben.«
    Eine Stunde später fahren wir durch das Ödland. Draußen in den
Vororten wuchert das Gras. Es verdeckt die Bordsteinkanten und schießt trotzig
Pollen in die frische Luft, als wüsste es, dass es nie mehr einen Rasenmäher zu
fürchten hat. Auch sonst mehren sich die Anzeichen, dass die Natur ihr Terrain
zurückerobert. Ranken erklimmen die Backsteinfassaden. Sie kämpfen um die
höchsten Dachrinnen und nehmen junge Schösslinge in ihren Würgegriff, um ihnen
das kostbare Sonnenlicht streitig zu machen. Unsere Reifen rollen über rissigen
Asphalt, aus dessen Spalten und Ritzen neue Triebe wachsen. Die Natur feiert
hier draußen ein wildes Fest, gegen die alle Partys der Welt einpacken können.
    Mein Verstand macht dieses Spiel nicht mit. Er fegt das Grün brutal
beiseite und gewährt mir flüchtige Einblicke in die Vorstadt von früher. Damals
fuhr ich mit dem Rad durch gepflegte Straßen. Die Leute, die das Viertel in
Ordnung hielten, hatten keine Ahnung, wie nahe das Ende war. Die Rasenflächen
waren sauber getrimmt, die Blumenbeete frei von Unkraut, und von den Hauswänden
blätterte keine Farbe ab. Das leise Tsk-Tsk-Tsk der Rasensprenger, das den Gesang
der Vögel und das Summen der Insekten begleitete, ist verstummt. Jetzt ist
meine einstige Nachbarschaft eine fremde

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