White Horse
viel.
Kein Monster?, frage ich ihn.
Nein. Sie ist so schön wie ihre Mutter.
Ich muss schrecklich aussehen.
Er lacht. Frauen. Du hast unser Kind ausgetragen;
für mich warst du nie schöner als jetzt.
Bist du sicher, dass sie perfekt ist?
Ja.
Er will sie mir wegnehmen.
Das lässt du nicht zu. Ich kenne dich.
Aber ich bin müde. So müde. Kann ich jetzt
schlafen?
Noch nicht, Baby. Bald.
Ich habe deinen Brief gelesen. Glaub mir, ich
liebe dich auch.
Alles wäre leichter, wenn du mich vergessen
könntest.
Nichts ist mehr leicht auf dieser Welt.
Ein Kuss auf ihre und ein Kuss auf meine Stirn. Seine Lippen sind
warm. Wie können Traumlippen warm sein?
Das ist Liebe, sagt er. So und nicht anders soll Liebe sein.
Sich im Ãther verlieren, würden gefühlsduselige Leute sagen. Nick
zerflieÃt, und vielleicht verliert er sich im Ãther; vielleicht hat mein Gehirn
aber auch nur einen Schalter umgelegt und mich aus meiner Traumwelt zurück in
die Wirklichkeit geholt. Egal. Nick ist fort, und der Schweizer ist wieder da.
Er füllt das Rechteck aus, das bis vor Kurzem eine verschlossene Tür war. Nun
weià ich nicht, was schlimmer ist, denn er blickt mein Baby â mein Baby â mit begehrlichen Blicken an. Du sollst nicht begehren.
Er schiebt sich langsam auf mich â auf uns â zu.
»Gib mir mein Baby«, säuselt er. Tief sitzender Hass brodelt in mir
hoch. Ich bin eine Löwin, die ihrem Muttertrieb gehorcht. Ich werde ihm die
Kehle zerreiÃen, wenn er es wagen sollte, mein Junges anzurühren.
»Was zum Henker bist du?«
»Bitte, beruhige dich! Du bist nicht mehr bei Sinnen.«
»Weil du mein Baby stehlen willst«, fauche ich.
»Mein Baby.«
In diesem Moment merkt er, dass etwas verändert ist. Ich habe das
traute Heim umdekoriert, während er als Jäger und Sammler unterwegs war. Habe
die Dinge, die ihm lieb und teuer waren, als Konfetti für meine Hassparade
verwendet. Sein Blick wandert von den Fotoschnipseln zu seiner leeren Box und
von dort zu dem Zeitungsausschnitt, der wie zufällig auf dem kleinen Tisch
liegt.
»Was hast du da angerichtet?«
»Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mit der Ehefrau von George
Pope verwandt bist?«
»Das hier ⦠sind ⦠meine ⦠Sachen. Was gibt dir das Recht �«
»Was gibt dir das Recht, mich als Geisel festzuhalten und mein Baby
zu stehlen? Was gab dir das Recht, Lisa wie einen Spucknapf zu benutzen, ihr
deine dreckigen Gelüste aufzudrängen, sie zu töten? Was gab dir das Recht, den
Soldaten umzubringen? Und den Russen. Und Irini. Er hat dich zum Gott erhoben?«
»Ich bin Gott!«, schreit er. »Ich bin der
einzige Gott, den du je kennen wirst.«
Ich bin zu erschöpft für diesen Kampf. »Ich glaube nicht mehr an
Gott. Warum sollte ich auch?«
Mein Baby stöÃt ein dünnes Wimmern aus. Arme Kleine. Eben erst
geboren und schon mitten in einem primitiven Sorgerechtsstreit. Der hier wird
allerdings erbitterter geführt werden als jeder andere. Und er wird tödlich
enden.
»Lass uns einfach gehen«, sage ich. Ruhig. Leise. Mit dem
Beschützer-Instinkt des Alpha-Weibchens.
Er kauert neben uns nieder. Streckt beide Hände aus. Ich weiche
zurück, so weit es die Handschellen erlauben, doch das reicht nicht.
»Gib mir mein Baby.«
»Warum? Ich verstehe nicht, was dir an uns liegt. Warum willst du
ausgerechnet mein Kind?«
Sein Lachen lässt mich frösteln. »Ich will dein Kind, weil es von
zwei Elternteilen abstammt, die immun gegen White Horse sind. Dein Kind wird
überleben, ohne die Seuche zu bekommen.«
Die Puzzleteile verschieben sich, ergeben ein Bild. »Du suchst nach
einer Heilmethode.«
»Sei nicht albern. Es gibt keine Heilmethode.« Er presst die Worte
hervor, spuckt sie mir ins Gesicht. »Die Toten kehren nicht zurück. Ich habe
die Seuche so entwickelt, dass sie Bestand hat. Ich habe sie erschaffen. Ich.
Nicht George. Die Veränderungen sind mit Langzeitwirkung geplant. Niemand
konnte vorhersagen, welche Chromosomen entstehen und die Versuchspersonen in
völlig neue Geschöpfe verwandeln würden. Wir sind alle Monster. Wir sollten
eigentlich alle tot sein.«
Ich würde am liebsten mit den Fäusten auf ihn einschlagen, doch ich
brauche meine letzten Kräfte, um bei klarem Verstand zu bleiben.
»Du und Pope. Ihr habt uns das angetan.
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