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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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wollen, dass Menschen weiterleben.« Dann strahlt sie mich an. »Wir kommen
dich holen. Dich retten. Ich bete, dass es nicht zu spät ist.«
    Dann umringen sie uns, begutachten mein Kind, und sie verstummt. Sie
hat alles Wesentliche gesagt.
    Â»Die tun ja, als hätten sie noch nie ein Baby gesehen«, sage ich.
    Einer nach dem anderen tut so, als würde er mein Kind anspucken.
    Â»Zum bösen Blick abwenden«, erklärt Irini. Das tröstet mich, weil es
mir die Gewissheit gibt, dass sie noch Menschen genug sind, um an ihrem
Aberglauben festzuhalten.
    Â»Sie werden nie selbst Kinder haben«, sagt der Schweizer von seinem
Fiberglas-Deck aus. »Kein Monster kann Nachkommen zeugen.«
    Ich drehe mich um und starre ihn an. Es fällt mir schwer, meine
Empörung zu unterdrücken. »Gibt es irgendetwas, das du ihnen nicht genommen
hast?«
    Â»Die Seuche hat auch mein Leben kaputt gemacht.«
    Â»Das ist keine Entschuldigung für das Leid, das du ihnen zugefügt
hast«, entgegne ich.
    Meine Retter setzen sich jetzt in Bewegung, eine Menschenwoge, die
sich von den Felsen löst. Als sie zurückschwappt, ist der Schweizer in ihrer
Gewalt.
    Er sieht mich Hilfe suchend an. »Lässt du zu, dass sie mich
mitnehmen?«
    Ich schüttle den Kopf. »Du hast alles aufgebraucht, was ich je an
Mitgefühl besaß.« Sanft nehme ich Irini das Messer aus der Hand. »Meine Hände
sind schon mit Blut befleckt«, sage ich zu ihr.
    Ein Stück meiner Seele platzt ab, als das Messer einen eleganten
Bogen beschreibt. Ich wickle es in Seide, umgebe es mit einem Eisblock und
verstaue es in einem mit Blei ausgekleideten Koffer. Eines Tages – falls mir
noch eigene Tage vergönnt sein sollten – werde ich das Schloss vielleicht
öffnen und das Fragment in der Sonne tauen lassen. Ach ,
werde ich sagen, wenn ich es dann ansehe. Ich erinnere mich
jetzt. Ich erinnere mich daran, was ich früher war. Ein einfaches Mädchen mit
schlichten Träumen, das sich in seinen Therapeuten verliebte.
    Welche Gefühle weckt das in dir?, fragt
Nick aus der Vergangenheit.
    Schreckliche Angst.
    Die Klinge schwebt über seinem von Menschenhand geformten
Adamsapfel, zieht eine dünne rote Linie über die Haut, einen Fingerbreit über
der Narbe, die bereits von mir stammt, und kehrt, der Schwerkraft gehorchend,
in eine neutrale Position an meiner Seite zurück.
    Â»Du kannst es nicht tun«, höhnt er.
    Â»Ich will es nicht tun«, sage ich. »Das
ist ein Unterschied, du armseliges Stück Dreck.«
    Dann wende ich mich Irini zu, der Schlangenfrau von Delphi, und
nehme meine Tochter aus ihren Armen entgegen. Wir gehen und überlassen den
Schweizer auf Gnade und Ungnade seinen eigenen Geschöpfen. Er ist ihnen einiges
schuldig.
    Mein Herz ist noch nicht völlig erstarrt, und so zucke ich zusammen,
als seine Schreie an mein Ohr dringen.
    Ich bin Mensch geblieben, mit allen Unzulänglichkeiten und Stärken
meiner Art.

    Ein gütiger Mond hellt das Dunkel ein wenig auf. Wir sind wieder
nach Norden unterwegs. Immer nach Norden, wir vier. Wir haben vom Boot so viel
wie möglich mitgenommen – Vorräte für uns und das Baby. Esmeralda schleppt
alles, ohne sich zu beklagen. Mein Körper ist so ausgelaugt, dass ich kaum die
Kraft habe, mich auf den Beinen zu halten und meine Tochter zu tragen.
    Â»Warum?«
    Â»Der einzige Weg führt nach vorn. Immer einen Fuß vor den anderen
setzen.«
    Â»Wir könnten nach Delphi zurückkehren.«
    Â»Es ist nicht mehr weit«, sage ich. »Nick wollte herausfinden, ob
seine Eltern wohlbehalten sind. Jetzt …«, das Sprechen fällt mir schwer, »…
muss ich das für ihn erledigen. Wenn du selbst andere Ziele hast, meine
Freundin, dann lass dich nicht aufhalten.«
    Sie strafft die Schultern und hebt den Kopf. Stolz. Wie es ihr
zusteht.
    Â»Wir sind mehr. Familie.«
    Ich frage mich, wie ein gebrochenes Herz immer noch so viel Liebe in
sich haben kann.
    Wir halten an, damit ich im Meer baden und saubere, trockene Sachen
überstreifen kann. Dann ziehen wir weiter.
    Vorwärts. Vorbei an der grauen Steinkirche mit ihren Graffitis in
fehlerhaftem Englisch. An einer Meeresbucht entlang, in der tausend Diamanten
glitzern. Wir gehen langsam, aber das ist gut so; die Bombe tickt jetzt nicht
mehr mit der gleichen Dringlichkeit wie zuvor. Der Schweizer ist tot –

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