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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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dass alle Blutspenden der Welt das Rad nicht rückwärtsdrehen
können.
    Hinter mir drängen immer mehr Passagiere herein. Manche haben gar
kein Gepäck. Andere sind ausgestattet wie ich, mit einem Rucksack und
vielleicht noch einem Kissen.
    Eine abgehärmte Frau bleibt dicht neben mir stehen. Sie drückt ein
Köfferchen von Louis Vuitton an die Brust. »Ist dieser Platz besetzt?«
    Â»Wenn Sie ihn haben möchten – ja.« Ich bemühe mich um einen lockeren
Tonfall, aber meine Worte klingen platt und aufgesetzt.
    Ich schwinge meine Knie zum Fenster, um sie durchzulassen. Sie nimmt
Platz, stellt den Koffer auf den Schoß und umschlingt ihn krampfhaft. Komisch,
denke ich, bis ich merke, dass ich das Gleiche tue.
    Â»Ich liebe Rom«, sagt sie. »Es ist so romantisch. Noch romantischer
als Paris, glaube ich. Waren Sie schon mal da?«
    Â»Nein. Es ist mein erster Besuch dort.«
    Wir sind eine Parodie der Normalität. Zwei verlorene Frauen, die die
menschliche Konversation aus einer vergangenen Zeit nachäffen.
    Â»Sind Sie verheiratet?«
    Â»Nein.«
    Â»Sie sollten die Stadt mit einem Menschen besuchen, den Sie lieben.
Ich war mit meinem Ehemann da. Also – mit beiden Ehemännern. Sie haben Rom
geliebt. Jetzt sind sie tot.« Ihre Knöchel umkrampfen die perfekte Naht des
Köfferchens, weiße Murmeln unter papierdünner Haut, fast zu schwach für die
Ringe, die sie schmücken. »Ich liebe Rom«, wiederholt sie. »Es ist so romantisch.«
    Danach verstummen wir. Sie zieht sich in ihre Welt zurück, in der
sie ein Haute-Couture -Kleid trägt, mit einem Ring und
passendem Collier, eine Welt, in der ihre Ehemänner ihr die Tür aufhielten und
Dienstboten ihr Gepäck trugen. Mein Magen meldet sich, und ich reiße die dünne
Plastikfolie auf, die meinen Glückskeks umhüllt. Er ist von der Anspannung in
meinen Fingern zerbröselt, aber das erspart mir die Arbeit, ihn in Stücke zu
brechen. Die Teile lösen sich auf meiner Zunge, bis nur noch die süße Erinnerung
an Zucker übrig ist.
    Das Papier mit dem Glücksspruch liegt steif zwischen meinen Fingern.
Ich streiche es glatt und lese.
    Auf zu neuen Ufern!
    Ich lese den Spruch immer wieder, bis ich lache. Ich lache, bis ich
weine. Ich weine, bis ich einschlafe.

VIER
    ZEIT: JETZT
    Ich schrecke schweißgetränkt und voller Panik aus dem
Schlaf. Die lauwarme Nässe hat nichts mit dem Regen zu tun, denn sie riecht
sauer, metallisch, mit einer leicht fauligen Note wie Obst kurz vor dem
Umkippen. Mein Flug nach Rom versickert in den Kanälen der Nacht und lauert
dort bis zu dem Moment, da ich erneut die Augen schließen werde. Ich richte
mich aus dem Wurzelgeflecht auf und suche nach Lisa. Sie schläft.
    Als ich sie wecke, ist sie so von ihrer Traumwelt umnebelt, dass sie
meine Stimme kaum erkennt.
    Â»Was ist?«
    Â»Du bist eingeschlafen.«
    Â»Sorry, ich war müde.«
    Â»Ich muss mich auf dich verlassen können.«
    Sie beugt sich vor, übergibt sich, Schwall um Schwall, bis ich das
Gefühl habe, dass sich ihr Innerstes nach außen stülpt. Zwischen den einzelnen
Attacken stößt sie hervor:
    Â»Tut mir leid. Es ist einfach passiert.«
    Â»Komm jetzt. Wir sollten aufbrechen.«
    Wir erheben uns von unserem Rastplatz. Ich lasse meine Blicke über
die Landschaft hinter uns schweifen. Nichts außer Bäumen und Gras. Aber etwas
folgt uns. Zweige knacken ohne Grund. Gelegentlich vernehme ich Schritte, die
nicht von mir oder von Lisa stammen.
    Wir sind nicht allein hier draußen.
    ZEIT: DAMALS
    Â»Hast du nicht einmal versucht, deinen Traum zu lenken?
Das Glas umzudrehen und einen Blick auf die Unterseite zu werfen?«, fragt Dr.
Rose. Oder Nick, wie ich ihn jetzt nenne.
    Ich blicke ihn an. Mein Mund steht vor Verblüffung ein wenig offen.
Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen.
    Es ist Freitagabend. Insgeheim nenne ich den Termin unser Date , weil ich nicht wie die anderen Leute bin, die
hierherkommen. Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht mal eine Spur schräg.
Zumindest glaube ich das nicht. Aber dieses Gefäß macht mir zu schaffen. Sein
Geheimnis krallt sich mit eisigen Fingern um mein Herz und drückt zu, bis ich
den Schmerz spüre.
    Â»Nein. Nie.«
    Â»Vielleicht solltest du das tun. Vielleicht ist es an der Zeit, dass
du in deinem Traum aktiv wirst. Dass du das Steuer in die Hand

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