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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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die Achseln. »Ich glaube, ich werde sterben. Ich habe
Angst. Du auch?«
    Â»Manchmal. Aber ich versuche den Gedanken an den Tod zu verdrängen.«
    Lisas Wanderstab trommelt im ewig gleichen Rhythmus über den Boden.
Meile um Meile. Meine Blasen haben sich zu dicken Schwielen auf Fersen und Sohlen
verhärtet.
    Â»Hast du jemals jemanden richtig geliebt?«, fragt sie.
    Â»Ja.«
    Â»Und wie war das?«
    Â»Schön und schrecklich zugleich.« Wie Oz.
    Â»Ich war noch nie verliebt. Echt verliebt, meine ich. Da war mal ein
Junge. Eddie. Eher so eine Art Kumpel. Er hat mich einmal geküsst, und danach
wollte er nicht mehr mit mir reden. Ich habe eine Woche lang geheult. Denkst
du, dass das Liebe war?«
    Â»Möglich. Aber das kannst nur du wissen.«
    Â»Eigentlich stelle ich mir Liebe anders vor. Andererseits – ich will
nicht sterben, bevor ich mich wenigstens einmal richtig verliebt habe.«
    ZEIT: DAMALS
    James lümmelt sich in die Couchkissen und brütet über
einem Lehrbuch, das größer ist als sein Kopf.
    Â»Nun, was denkst du, Rain Man?«
    Ich lache. »Mann, du kannst ihn doch nicht im Ernst so nennen.«
    Â»Klar kann ich das.« Er blinzelt mir zu.
    Raoul sieht von dem Gefäß auf und lächelt mich so strahlend an, dass
ich mir eine Sonnenbrille wünsche. »Ich weiß, wie sie mich hinter meinem Rücken
nennen. Es gibt weitaus schlimmere Bezeichnungen. James zum Beispiel.«
    James verschlingt Raoul mit den Blicken, wenn er sich nicht gerade
auf sein Buch konzentriert. Zum einen ist er scharf auf den Kollegen, zum
anderen fasziniert ihn wohl sein Fachwissen.
    Falls Raoul sein Interesse bemerkt, gibt er sich ahnungslos.
    Â»Ich tippe auf Griechenland.«
    James nickt wie ein Papagei. »War von Anfang an meine Rede.«
    Â»Aber aus welcher Epoche?«, fragen sie gleichzeitig.
    Â»Es ist eine Art Missing Link«, meint Raoul.
    Â»Ein Bindeglied zwischen zwei Geschichtsperioden.«
    Raoul zieht mit den Fingern den grazil geschwungenen Rand nach. »Ich
habe so ein Ding schon mal gesehen. Allerdings auf einem Gemälde, und der
Künstler war kein Grieche. Die Büchse der Pandora. «
    Â»Aah«, sagt James, als sei das die Lösung aller Fragen. »Der
Vorabend der griechischen Mythologie. Wieder mal die weibliche Neugier, die an
allem schuld ist.«
    Ich kenne natürlich den Mythos, dass mit dem Öffnen der Büchse alles
Schlechte über die Welt hereinbrach. Aber ich sehe keinen Zusammenhang zwischen
der Legende und meinem Gefäß.
    Raoul deutet meine Verwirrung richtig. »Das Ganze beruht auf einem
kleinen Übersetzungsfehler des Hesiod-Textes. Bei der ›Büchse‹, die Zeus
Pandora aushändigte, handelte es sich in Wahrheit um einen schlichten irdenen
Vorratskrug zum Aufbewahren von Getreide, Öl oder Knochen …«
    Â»Ein sogenanntes Ossarium«, wirft James ein.
    Â»â€¦Â den sie den Menschen schenken sollte, allerdings mit der strikten
Weisung, den Deckel unter keinen Umständen zu öffnen.«
    Wir starren das Gefäß und den mit Wachs versiegelten Deckel an.
    Â»Natürlich machte sie den Krug auf«, sagt James. »Wer hätte das
nicht getan?«
    Raoul umkreist das Gefäß, eine Hand immer noch auf der rauen
Oberfläche. »Wir sollten uns klarmachen, dass Pandora nicht von Bosheit
getrieben, sondern nur wie Eva von Neugier übermannt wurde. Neugier ist an sich
nichts Verwerfliches. Sie bewirkt, dass wir Dinge verbessern, erforschen,
entdecken. Ohne die Neugier der Menschheit wäre ich arbeitslos. Ihr Handeln
hatte nicht nur negative Folgen. Denn als sie das Unheil in die Welt entließ,
gab sie uns zugleich Hindernisse zu überwinden, ohne die wir wenig mehr als
Lehmgeschöpfe wären. So aber haben wir gelernt, zu denken, zu kämpfen und über
uns hinauszuwachsen.«
    Er blickt mich an. »Ich wüsste zu gern, was sich in dem Krug
befindet. Irgendwelche Vorschläge?«
    Eine kalte und heiße Woge überzieht meine Wangen. Ich spüre, wie ich
rot anlaufe, denn er hat meine Zwangsvorstellung durchschaut und die Frage, die
mich bewegt, so lässig ausgesprochen, als sei überhaupt nichts dabei.
    Â»Knochen«, sagt James.
    Â»Staub«, sage ich.
    Â»Drogen«, schlägt James im zweiten Anlauf vor.
    Diesmal beschenkt Raoul James mit seinem strahlenden Lächeln.
»Antikes Getreide.«
    Ich lasse mich in den

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