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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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nimmst.«
    Â»Und was werde ich dabei deiner Ansicht nach entdecken?«
    Â»Eine Botschaft. Einen Hinweis. Womöglich auch nur einen Made-in-China -Aufkleber.«
    Ich lache schallend. »Der echte Horror-Trip. Mein Traum – ein
Produkt chinesischer Massenfabrikation!«
    Wir verlassen die Praxis gemeinsam. Ich bin seine letzte Klientin.
Ich warte, während er abschließt, und dann schlendern wir zum Aufzug wie
Freunde, als hätte er mir nicht soeben eine Rechnung überreicht und ich ihm
keinen Scheck ausgestellt.
    Â»Tu es«, sagt er, während die Stahlseile den überdimensionalen
stummen Diener in unsere Etage hieven. »Dreh das Ding herum und inspiziere den
Boden. Alles andere kennst du bereits. Das Gefäß ist nur ein Traum. Wenn es
zerbricht, kommt kein grimmiger Verkäufer und fordert dich auf, die beschädigte
Ware zu bezahlen.«
    Das ist ein Argument, aber er kennt nicht die volle Wahrheit.
    Meine Stimme schwankt. »Den Inhalt habe ich auch noch nicht gesehen.«
    Die Aufzugkabine rastet mit einem metallischen Knirschen ein. Das
Geräusch hallt im Korridor nach. Die Türen gleiten auf. Dr. Rose legt mir sacht
eine Hand um die Taille und schiebt mich vor sich her. Ich spüre seine Körperwärme
durch meine Bluse. Er hat einen vertrauten Geruch, der sich aber hartnäckig
einer genaueren Zuordnung entzieht.
    Â»Träume sind schon etwas Merkwürdiges«, sagt er. »Wir besitzen
hochmoderne Labors, jede Menge Spezialisten und eine Fülle von Experimenten,
und doch wissen wir immer noch nicht, was sie sind oder was sie bedeuten.« Der
Aufzug ruckelt und summt. »Du hast mich mal gefragt, ob auch ich einen Traum
habe, der sich ständig wiederholt. Da wir im Moment keine Therapie machen,
sondern uns ganz normal unterhalten, will ich dir darauf antworten.« Er drückt
auf den STOP -Schalter, und die Kabine steht still.
»Ich stehe an einem Strand in Griechenland, der Heimat meiner Familie. Es gibt
da keinen Sand. Nur Geröll. Das Wasser ist ruhig. Ich habe das Gefühl, als sei
ich … der einzige Mensch auf der ganzen Welt. Aber als ich mich bücke, um einen
glatten Kiesel aufzuheben, spüre ich, dass jemand hinter mir wartet. Eine Frau.
Ich kann sie nicht sehen, aber ich weiß, dass sie da ist.«
    Â»Weil du den Traum schon einmal hattest?«
    Sein Lächeln wirkt verhalten. Seine Augen sind dunkel und sehr
ernst. »Mehr als einmal. Er spielt sich immer nach dem gleichen Muster ab. Wenn
ich mich umdrehe, peitscht ein einzelner Schuss auf, ohrenbetäubend laut. Ein
roter Fleck zeigt sich auf ihrer Brust. Er breitet sich rasch aus, bis sie über
und über von ihrem eigenen Blut bedeckt ist. Ich renne zu ihr, fange sie auf,
als sie fällt, aber es ist zu spät. Und ich bin hilflos.«
    Â»Der Mann, der am liebsten allen helfen würde, ist hilflos«, sage
ich.
    Â»Fast allen.« Er lächelt. »Außer Teilnehmern von Reality-Shows.«
    Sonnenschein. Er riecht nach Sonnenschein. Einen Moment lang
schließe ich die Augen. Ich sehe mich im Garten meiner Großmutter, umgeben von
frischen Laken, die langsam in der Hochsommersonne trocknen. Als ich die Augen
wieder aufschlage, merke ich, dass er mich beobachtet.
    Â»Was hat das alles wohl zu bedeuten?«
    Er zuckt die Achseln und tippt auf den STOP -Schalter.
Der Lift setzt sich wieder in Bewegung.
    Â»Nichts. Es ist nur ein Traum.« Ein Grübchen erscheint in seiner
Wange. »Es sei denn, es ist keiner. Ich schlage dir einen Deal vor. Werde in
deinem Traum aktiv. Sieh nach, was sich auf der Unterseite befindet.«
    Â»Und wenn ich das tue?«
    Â»Lade ich dich zum Essen ein.«
    Mir wird bewusst, es ist genau das, was ich mir wünsche.
    Ein Ruck geht durch meinen Körper, als der Aufzug anhält. Dr. Rose
blickt mich immer noch fragend an. Er wartet auf meine Antwort.
    Ich kämpfe mühsam gegen mich selbst an. »Tut mir leid«, sage ich
schließlich, »aber es wäre nicht richtig. Allerdings werde ich mein Nein bitter
bereuen, falls die Welt morgen untergehen sollte.«

    Die Welt endet weder am nächsten noch am übernächsten Tag. Aber
ein halbes Jahr später geht die Menschheit so rasend schnell zugrunde, dass
keiner von uns die Zeit hat, sich über abgelehnte Verabredungen den Kopf zu
zerbrechen.
    ZEIT: JETZT
    Der Tag schleppt sich dahin. Jede Stunde vergeht noch
zäher als die vorangegangene.

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