Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
Vom Netzwerk:
erscheint durchaus logisch.
Waffen sind für ihn vermutlich Arbeitsgeräte wie für mich Schrubber und
Scheuertuch. Zumindest hoffe ich, dass er geschossen hat und nicht irgendein
unbekannter Feind.
    Aber was, wenn er der Feind ist?
    Â»Wir sollten uns verstecken«, sage ich. Falls sich Fremde in der
Gegend herumtreiben, verrät das hell lodernde Feuer, wo wir uns befinden. Meine
Wangen fühlen sich heiß an, und meine Wut wächst. Lisa und ich sitzen hilflos
da und bieten ein leichtes Ziel, weil ich blind den Befehlen von zwei Männern gehorchte
und ihren Willen widerspruchslos über meinen eigenen stellte.
    Lisa will das Feuer nicht verlassen. »Er wird zurückkommen und uns
holen.«
    Â»Wir müssen selbst etwas zu unserer Rettung unternehmen.«
    Â»Dann geh. Ich bleibe.«
    Â»Wenn da draußen im Dunkel ein Monster lauert, weist ihm das Feuer
den Weg zu uns.«
    Â»Das ist mir egal.«
    Wir bleiben. Lisa, die ganz nahe am Feuer sitzt, hat beide Arme um
die Knie geschlungen. Ich starre ins Dunkel und halte die Monster durch reine
Willenskraft in Schach. Die Minuten dehnen sich endlos in die Länge. Fast
könnte man meinen, die Nacht habe es sich in einem tiefen Sessel bequem
gemacht. Ich lehne mich gegen die harte Baumrinde.
    Â»Wenn du schlafen willst, halte ich Wache.«
    Lisa starrt blind durch die Flammen. Das Feuer ist eine dünne Maske,
die ihre Gefühle verbirgt. Mir war nie zuvor aufgefallen, wie unruhig so ein
Feuer ist. Es gleicht einer im steten Wandel begriffenen Landschaft aus Gipfeln
und Tälern. Berge erheben sich und stürzen ein, um erneut hochzuschnellen, ehe
sie endgültig in sich zusammensinken. Wenn eine Flamme stirbt, lodert eine
andere auf und nimmt ihren Platz ein. Der Tanz der Höhen und Tiefen spielt sich
auf Lisas Gesicht ab. Von meinem Blickwinkel aus scheint sie nach oben zu schmelzen.
Wie um mich zu verhöhnen, quillt durch einen Spalt in der Zeit eine mögliche
Zukunft: Ich sehe Lisas Haut schrumpeln wie Zelluloid, die dünne Fettschicht
darunter Blasen bilden und brodeln, bis nichts mehr übrig ist als ein Hauch in
der Luft, in meinen Lungen, auf meiner Haut.
    Eine Erinnerung wählt ausgerechnet diesen Augenblick, um sich in den
Vordergrund zu schieben, als habe sie ein Leben lang auf ihren Auftritt
gewartet. Die Stimme gehört zu Derek Keen, letzte Bank, neunte Klasse Physik.
    Wenn ihr einen Furz riecht, dann heißt das, dass
ihr Moleküle von der Scheiße des Furzenden einatmet.
    Das trug ihm einen Arrest ein, aber, was viel wichtiger war, die
widerwillige Anerkennung – rein fachlich gesehen haben Sie
recht, Mister Keen – eines Lehrers, den man nur selten zufriedenstellen
konnte. Mister Crane. Ich frage mich, ob auch er dem Weißen Pferd zum Opfer
fiel. Wahrscheinlich nicht. Er war schon seinerzeit ein Überbleibsel aus grauer
Vorzeit. James sagte später einmal im Spaß, er hätte Mister Cranes Alter gern
per Radiokarbonmethode bestimmt.
    Ich will nicht, dass Lisa verbrennt. Weder jetzt noch in Zukunft.
Ich will keine Moleküle von ihr in meine Lungen saugen, wo sie sich mit mir vermischen.
    Das Knirschen von Stiefeln auf Gras reißt mich aus meinen morbiden
Gedankengängen. Der Soldat taucht als Erster auf.
    Â»Wir bringen zu essen«, verkündet er mit einem breiten Lachen, das
ihn völlig verwandelt. Dieser Mann freut sich, wenn er andere umsorgen und
beschützen kann. Und das Leuchten in seinen Augen verrät, dass dies keine
erlernte Haltung ist, sondern einfach zu seinem Wesen gehört.
    Â»Grazie.«
    Er lacht, umarmt mich, klopft mir auf den Rücken. »Gut, gut.«
    Der Schweizer tritt in den goldenen Feuerschein, eine tote Ziege
quer über den Schultern. Ein böses Omen aus biblischen Zeiten? Der Kopf des
Tieres hängt in einem unnatürlichen Winkel nach hinten; in seiner Kehle klafft
ein zweites Maul. Als er die Beute neben dem Feuer fallen lässt, sehe ich die
Einschusslöcher im Fell.
    Â»Ihr hattet die Ziege bereits erschossen. Musstest du ihr auch noch
die Kehle durchschneiden?«, frage ich.
    Â»Wie sonst hätte ich sie ausbluten sollen? Komm, bereite sie zu!«
    Lisa springt auf, stolpert aus dem Lichtkreis. Ihr Würgen übertönt
das Surren der Insekten.
    Â»Meine Erfahrung mit Fleisch beschränkt sich auf abgepackte Ware aus
dem Supermarkt«, gestehe ich. »Aber gut, ich bin lernwillig.« Ich hole das
scharf

Weitere Kostenlose Bücher