White Horse
bereiteten.«
»Ich dachte, du seist meine Freundin.«
Der Schweizer lacht. Es ist kein angenehmes Lachen. »Weiber.«
Später, nachdem wir die Abfälle vergraben und uns um das Feuer
niedergelassen haben, rückt der Italiener dicht neben mich.
»Ich komme mit nach Brindisi, passe auf, dass nichts passiert. Mein
Land, mein Volk ist â¦Â« Er macht eine Bewegung, als wollte er einen Zweig
zerbrechen.
»Danke.«
Er ist ein Held. Die StraÃen dieser Welt sind voll von Menschen wie
ihm. Nur sind sie alle tot.
Ich träume von Mäusen und kaputten Menschen und all den Versprechen,
die ich nicht halten konnte. Sie verfolgen mich, bis ich erwache. Der Platz, an
dem der Soldat sich ausgestreckt hatte, ist leer. Unter den tief herabhängenden
Ãsten am Waldrand steht der Schweizer und späht in die Nacht. Obwohl er nicht
in meine Richtung sieht und nicht wissen kann, dass ich die Augen aufgeschlagen
habe, beginnt er zu sprechen.
»Der Soldat ist weitergezogen.«
»Wohin?«
»Weitergezogen. Reicht das nicht?«
»Einfach so? Ohne sich zu verabschieden?«
»Nun, er hat Ciao gesagt und war weg.«
»Im Dunkeln.«
»Er hat es sich eben anders überlegt. Wollte nach seiner Schwester
suchen â herausfinden, ob sie noch lebt. Ich brachte ihn bis zur StraÃe und
wies ihm den Weg.«
Als er sich umdreht, sehe ich, dass er etwas in den Händen hält. Ein
Eispanzer legt sich um mein Herz, schnürt es mit seiner Kälte zusammen.
»Das ist seine Pistole.«
»Er hat sie mir geschenkt.«
Ich glaube ihm nicht. Aber plötzlich ist er mir überlegen, weil er
eine Waffe besitzt, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen kann. Also sage
ich nichts. Ich rolle mich dicht neben der halb erloschenen Glut zusammen und
beobachte, wie er die Pistole mit dem Hemdzipfel poliert.
Ich sage nicht, was offensichtlich ist. Ich wage es nicht, weil ich
Angst habe, wenn ich sie ausspreche.
Warum hast du ihn getötet? Warum? Was bist du?
ZEIT: DAMALS
»Raoul ist fort.«
James lehnt bleich wie eine der Wachsfiguren von Madame Tussauds an
meiner Wohnungstür. Sein Atem rasselt, als würde er eine dicke Flüssigkeit
inhalieren.
»Das tut mir so leid.«
Wir hatten das schon öfter, dass einer von uns todunglücklich Trost
beim anderen suchte. Die Abende enden meist damit, dass wir unseren
Liebeskummer mit Alkohol ertränken und uns morbide alte Geschichten von
gebrochenen Herzen erzählen. Aber diesmal nicht. Diesmal sieht James so
kreideweià aus, als sei er selbst einem Sarg entstiegen. »Was ist passiert? Ich
hatte den Eindruck, ihr beide würdet euch richtig gut verstehen.«
»Er hat mich nicht verlassen!« James spuckt die Worte aus wie
Olivenkerne. »Er ist tot. Tot. Tot.« Sein schlaksiger Körper krümmt sich
vornüber, und er sinkt zu Boden.
»Tot?«
Ich kann es nicht glauben, und doch bin ich nicht sonderlich erstaunt,
auch wenn ich den Grund dafür nicht nennen kann. Ich spüre nur, dass sich tief
in meinem Innern ein Wissen eingenistet hat, gegen das ich mich mit aller Macht
sträube.
»Du hast richtig gehört«, schluchzt er. »Ich war drauf und dran,
mich in ihn verlieben. Ach was, ich liebte ihn. Deshalb tut es auch so weh. Wir
hatten schon den Plan gefasst, zusammen aufs Land zu ziehen. Eine Familie zu
gründen.«
»Was ist geschehen?«
»Er ist einfach gestorben. Er hörte auf, zu atmen. Fühlte sich
plötzlich so kalt an wie seine verdammten Scherben.«
»Das tut mir so leid, James. So unendlich leid.«
»Aber das ist noch nicht das Schlimmste.«
Ich gehe neben ihm in die Hocke, lege ihm beide Arme um die
Schultern und ziehe ihn an mich, bis er den Kopf in meine Halskuhle schmiegt.
»Nein?«
Er blickt auf. Rote Ãderchen durchziehen das Weià seiner Augäpfel.
»Ich fürchte, dass ich die gleiche Krankheit habe wie er. Ich fürchte, dass ich ⦠ebenfalls sterbe.«
Ich setze zum Sprechen an, aber nichts kommt über meine Lippen. Und
dann finde ich die tröstenden Worte gut verborgen an jenem Ort, wo wir die
Lügen verwahren, die wir geliebten Menschen erzählen, um sie vor den harten
Wahrheiten der Welt zu schützen.
»Du stirbst auf gar keinen Fall, James. Ich bringe dich in die
Notaufnahme, okay?«
»Die können mir nicht mehr helfen.«
»Doch. Versprochen. Lass mich nur meine
Weitere Kostenlose Bücher