White Horse
zuerst ab.
»Aber glaube ja nicht, dass ich deine Ãberfahrt bezahle«, sage ich.
Er verhandelt mit dem Kapitän, doch ich bekomme nicht mit, welchen
Fährlohn er entrichtet. Als sie fertig sind, ziehe ich den Kapitän beiseite.
Ich erkläre ihm, wen ich suche und beschreibe Nick so genau wie möglich. Der
Mann denkt eine Zeit lang nach. Dann schüttelt er den Kopf, bis seine
Schiffermütze in Bewegung gerät.
»Ich sehen keinen solchen Mann. Immer nur wenige Leute auf dem
Schiff. Aber niemand wie er.«
»Und da sind Sie ganz sicher?«
»Wer wei� Alle sehen gleich aus. Schmutzig. Hungrig. Müde.«
Das Gewicht der Welt verlagert sich von meinen Schultern in den
Nacken. Ich lasse den Kopf hängen.
»Wir fahren jetzt«, sagt der Kapitän.
»Er ist tot.« Der Schweizer steht dicht hinter mir. Privatsphäre ist
ein Wort, das er nicht kennt. »Ich wusste doch, dass da ein Mann
dahintersteckt. Warum sonst würde eine Frau alles tun, was in ihrer Macht
steht?«
»Er ist nicht tot.«
»Ist er der Vater deines Bastards?«
»Kümmere dich um deinen eigenen Dreck!«, fauche ich.
Der Kapitän wartet.
Mein Spiegelbild im Fenster des Terminals zeigt mir eine Fremde.
Vielleicht war ich das einmal, als ich noch keine Last mit mir herumschleppen
musste. Oder vielleicht träume ich davon, so zu sein wie diese Frau. Stark,
entschlossen, kämpferisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass Nick lebt und
sicher nach Griechenland gelangt ist. Er wird eine andere Route gewählt haben.
Das und nichts anderes will ich glauben. Und wenn er dort ist, dann wird mich
nichts davon abhalten, ihm zu folgen.
»Ich komme«, sage ich. Vorwärts. Das ist der einzige Weg.
ZEHN
ZEIT: DAMALS
Es ist kein Atomkrieg, kein Kampf um mehr Land, kein
Streit um Menschenrechte und gegen engstirnige Despoten. Der Anfang vom Ende
kommt mit der Wetterkontrolle, wie Daniel, mein Blind Date, ganz richtig
festgestellt hat. Nur in einem Punkt täuscht er sich. Die Schuld daran tragen
nicht die Chinesen, sondern wir.
Das Ende beginnt in der Hurrikan-Saison, obwohl das Feld schon viel
früher bestellt wurde â mit Unmengen von Patentanmeldungen und Theorien, wie
der Mensch, unterstützt von hohen Geldsummen, das Wetter beeinflussen könnte.
Wettermodifikation. Noch ein Versuch, Gott zu spielen. Nachdem wir
unsere Krankheiten nicht wirklich in den Griff bekommen und uns vergeblich
bemüht haben, den Tod zu besiegen, müssen wir die nächste zum Scheitern
verurteilte Aufgabe in Angriff nehmen.
Die Forscher begehren zwar dagegen auf, aber mit Fördermitteln für
ihre Lieblingsprojekte werden sie schnell zum Schweigen gebracht. Und so können
GroÃunternehmen und Regierung mitsamt ihren brav nickenden Experten ungehindert
am Wetter herumpfuschen.
Hurrikan Pandora. So nennen sie ihr Kind, obwohl die Bezeichnung
alphabetisch aus der Reihe tanzt. Weil sie â genau wie ich â eine unersättliche
Neugier besitzen. Manche behaupten, dieser Hurrikan habe etwas typisch
Weibliches, weil er die Küste erst umarmt und ihr im nächsten Moment Sturm und
Regen entgegenschleudert, weil er uns herausfordert, in sein Auge zu blicken,
bis die gesamte Golfregion hypnotisiert ist und sich in einem falschen Gefühl
der Ruhe wiegt.
Das Experiment ist streng geheim. Bis es fehlschlägt. Danach sickern
Einzelheiten in die Medien durch.
Pandora fordert Häuser und Menschenleben. Gibt dem Meer Land zurück.
Zieht Geld aus vielen bereits leeren Taschen.
Eine Woche später entsteht ein Zyklon vor der Ostküste Australiens.
Diesmal ist das Experiment ein Erfolg, und der Wirbelsturm löst sich auf, noch
bevor er das Festland erreicht.
Der Angriff kommt, als die USA und ihre Verbündeten den Sieg feiern.
Es ist ein elektronisches Pearl Harbor, das ein ganzes Land lähmt.
Niemand kann mehr Bücher kaufen, Kino-Anfangszeiten nachlesen oder Katzenbilder
mit pseudowitzigen Sprüchen ins Netz stellen. Zunächst führt das zu Verwunderung,
dann zu Empörung, dann zu Angst, als die Leute merken, wie weit die Sache
reicht. Plötzlich müssen sie erkennen, dass ihr Reichtum nur in einer Computer-Datenbank
existiert. Sie sind virtuelle Millionäre und Milliardäre. Sie sind es, bis
China seine Politik durchsetzt. Eine Politik, die von den Medien treffend als
»Ein Weg â Unser Weg« bezeichnet wird.
Die Menschen geraten
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