White Horse
nickt. »Unser Volk hatte immer groÃe Träume, allesamt kühn und
von gewaltigem Umfang. Aber bei den Details haperte es dann. Haben Sie die
Zeit, sich eine Geschichte anzuhören?«
Für den Präsidenten sollte ich alle Zeit der Welt
haben, möchte ich entgegnen, aber die Worte kommen nicht über meine
Lippen, und so nicke auch ich. Das scheint ihm zu genügen.
Er zögert einen Moment lang. Zwei Männer, die einen dritten an Armen
und Beinen tragen, kommen an Deck. Ihre Umrisse erinnern an eine Hängematte
zwischen zwei Bäumen. Sie schwingen den Toten hin und her und werfen ihn dann
über Bord. In eine bessere Welt.
»Es war einmal ein Mann, den die Menschen zu ihrem Führer wählten.
âºWenn ich das Amt annehmeâ¹, sagte er, âºmüsst ihr mir mit euren Ideen helfen,
dieses Land stärker zu machen.â¹ â âºNein, neinâ¹, riefen sie. âºDafür haben wir
dich gewählt. Deine Ideen sind besser.â¹ Er freute sich, dass sie so groÃes
Vertrauen in ihn setzten, und nahm das Amt an. Bald darauf standen sie
unzufrieden vor seiner Tür. âºSprechtâ¹, sagte er. âºIhr müsst mir mit euren Ideen
helfen, dieses Land in einen glücklicheren Ort für alle zu verwandeln.â¹ â
âºNein, neinâ¹, riefen sie, âºdafür haben wir dich gewählt. Deine Ideen werden uns
glücklicher machen.⹠Einige Zeit verstrich, und wieder standen sie unzufrieden
vor seiner Tür. âºSprechtâ¹, sagte er, âºHelft mir mit euren Ideen, dieses Land
reicher zu machen.â¹ â âºNein, neinâ¹, riefen sie, âºWir verlassen uns darauf, dass
deine Ideen uns die Taschen füllen.⹠Dann kam ein verheerender Krieg. Die Leute
sammelten sich in Scharen vor seiner Tür und bedrohten ihn mit ihren
Mistgabeln. âºSprechtâ¹, sagte er. âºBitte, helft mir mit euren Ideen, dieses Land
für unsere Kinder zu bewahren.⹠Wieder verweigerten sie ihm die Unterstützung.
âºWir gaben dir die Macht, für uns zu entscheidenâ¹, schrien sie. Zuletzt brach
eine Seuche aus, und er beschwor sie erneut, ihm beizustehen, aber sie lehnten
ab, aus den Gründen, die er kannte. Als er jedoch diesmal versagte, warfen sie
ihn aus dem Amt. âºDer Mann taugt nichtsâ¹, sagten sie. âºEr hat unsere Wünsche
und Forderungen nie erfüllt.â¹Â«
»So ist es Ihnen ergangen«, sage ich nickend.
»So ergeht es jedem gewählten Staatsoberhaupt.«
»Deshalb haben Sie das Land verlassen?«
»In der Nacht. Wie ein Schreibtischtäter, der sich heimlich davonstiehlt.«
Danach reden wir von anderen Dingen. Von Apple Pie und Eiscreme, von
Baseball, von den Zeiten, in denen Amerika noch den Unabhängigkeitstag feierte.
Von den Zeiten, in denen die Menschen, die wir liebten, noch unter uns weilten.
Von den Zeiten, in denen eine stabile Regierung bedeutete, dass wir weniger
frei waren, aber mehr Freude am Leben hatten.
Am nächsten Morgen findet ihn der Kapitän unter Deck, erhängt an
einem dicken Leitungsrohr.
»Du hast mit ihm geredet«, sagt er. »Wer war der Mann?«
»Ein guter Mensch, trotz seiner Schwächen und Fehler. Besser als die
meisten.«
Lisa horcht angestrengt, als sie den Präsidenten nach oben bringen
und über Bord werfen, ohne ihm auch nur ein Gebet mit auf den Weg zu geben. Mit
schräg gelegtem Kopf versucht sie, das Ereignis sinnvoll in ihre Welt
einzuordnen. Sie kann nichts sehen, und doch beobachtet sie scharf.
Ihre Faszination lässt mich erschauern.
»Glaubst du, er könnte es wegmachen?«
Ich weià sofort, was Lisa meint. »Wenn er die Wahrheit über sich
gesagt hat â ja. Aber das Risiko wäre sehr hoch. Du bräuchtest eine saubere,
sterile Umgebung. Und ihm fehlt es an den nötigen Instrumenten.«
»In Griechenland gibt es Krankenhäuser.«
»Die Stromversorgung ist längst zusammengebrochen.«
»Das ist mir egal.« Ein schwaches Lächeln umspielt ihre Lippen. Ihr
Gesicht ist weich und verträumt. Sie wirkt zufrieden. »Verstehst du? Ich habe
Angst davor, was es sein könnte. Ich wette, er kann es wegmachen.«
ZEIT: DAMALS
Nick treibt sich manchmal in meinem Kopf herum, als
gefiele ihm das Chaos, das hier herrscht.
Ich gab dir den Rat, das Gefäà zu öffnen, sagt er. Von Zertrümmern war nie die Rede.
»Manchmal geht der Zorn mit mir durch.«
Merkst
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