White Horse
schlieÃlich mit einem
gewissen Respektabstand neben ihm nieder.
»Herr Präsident?«
Er blickt unsicher zu mir auf, als sei ich seine Vorgesetzte.
»Ich bin von nichts und niemandem Präsident.«
»Ich habe Sie gewählt.«
Er nickt langsam, als bereite ihm die Kopfbewegung Schmerzen.
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Vielen Dank.«
»Ich hielt es für die richtige Entscheidung.«
»Sie hätten auf den anderen Kandidaten setzen sollen.«
ZEIT: DAMALS
Der Krieg hinterlässt überall seine Spuren. Männer ziehen
in den Kampf und kehren nie zurück. Manchmal erfahren die Daheimgebliebenen,
dass sie gefallen sind. Die Wal-Mart-Regale leeren sich und werden nicht mehr
aufgefüllt, da der Nachschub an Billigwaren ausbleibt.
Eines Abends sehe ich in den Nachrichten, wie sie Jorges roten Truck
aus dem Fluss ziehen. Die durchweichten, halb verfaulten Eichhörnchen-Schädel
baumeln immer noch vom Rückspiegel.
In der Arbeit reden wir nicht darüber. Wir reden ohnehin kaum noch.
Alle machen ihren Job, als wären wir auf volle Power eingestellte Automaten.
Bald darauf wird das eine oder andere bekannte Gesicht vermisst.
Irgendwann nimmt eine schicke Zwanzigjährige den Platz der bisherigen
Empfangsdame in der Eingangshalle ein. Ein Typ, der freundlich bleibt, bis die
Bonuszahlung kommt. Von da an sagt jede ihrer Regung â Ihr
könnt mich mal! Eines Nachmittags schiebt sich eine Frau hinter mir in
den Aufzug, wie Winterfrost in Person. Sie umklammert einen Karton mit
gerahmten Fotos und allerlei Zeug, das nur für sie eine Bedeutung hat. Sie
starrt durch mich hindurch, als sei ich ein offenes Fenster. Nicht das
geringste Blinzeln oder Zucken deutet darauf hin, dass sie überlegt, wo sie
mich schon mal gesehen hat. Ich erinnere mich an ihren gestärkten weiÃen Kittel;
sie dagegen erinnert sich nicht mehr an die von toten Mäusen umringte Putze und
den bedrohlichen Auftritt von George P. Pope.
An einem anderen Tag suche ich den Waschraum auf, wo sich drei
Frauen über einen Kalender beugen und ausrechnen, wann sie zum letzten Mal ihre
letzte Periode hatten. Eine von ihnen hält mitten im Satz inne und stürzt in
die nächstgelegene Kabine. Die Tür knallt zu und schwingt gleich darauf wieder
auf. Ein Schwall Erbrochenes bedeckt die Fliesen.
»Tut mir leid«, sagt sie. »Aber in etwa acht Wochen müsste ich das
Schlimmste überstanden haben.«
Ich gebe ein paar beruhigende Worte von mir, doch ich denke dabei an
Ben, Raoul, James, Mrs Sark.
Und an Nick.
Ich rufe CDC an, die für
Infektionskrankheiten zuständige Gesundheitsbehörde, und werde zum Notruf
weitergeleitet. Wieder meldet sich eine blecherne weibliche Stimme. Als ich
versuche, die Sache mit dem Gefäà zu erklären, wird einfach aufgelegt.
Eines Morgens erscheint ein Foto von George P. Pope in der
Zeitung. Er posiert an der Seite einer spröden Blondine, die der
Bildunterschrift zufolge seine Gemahlin ist. Er weiÃ, was er sagen muss, um die
in Panik geratene Ãffentlichkeit zu besänftigen. Sätze wie Nehmen
Sie Ihre Grippeimpfung ernst, und Unseren Forschern
gelingen täglich neue Entdeckungen. Phrasen, die ihm selbst am meisten
nützen.
Mrs Pope nimmt sie ihm ebenso wenig ab wie ich. Sie schenkt ihre
ganze Aufmerksamkeit einem winzigen Staubkorn am Boden und verbirgt ihren
Mangel an Vertrauen hinter einem blonden Haarvorhang.
Das Bild verrät mehr als Popes markige Sprüche.
ZEIT: JETZT
Die Nacht kriecht vom Osten her über das offene Meer. Die
Lichter der Fähre flammen auf, aber ihre Strahlen werden von der näher
rückenden Dunkelheit geschluckt. Als nur noch wir beide an Deck sind, beginnt
der Präsident zu sprechen.
»Woher kommen Sie?«
Ich sage es ihm.
»Dort war eher mein Gegenkandidat populär.«
»Was hat Sie auf dieses Schiff geführt, Herr Präsident?«
Er zuckt mit den Achseln. »Ich hatte nie vor, in die Politik zu
gehen. Die Politik erwählte mich ⦠sehr viel später. Als Junge wollte ich
unbedingt Astronaut werden.«
Selbst jetzt, da seine Welt zerstört ist, besitzt er jene besondere
Ausstrahlung, die mich â und Millionen anderer Bürger â dazu bewogen haben, ihn
ins höchste Amt zu wählen. Gemeinsam lehnen wir uns gegen die Backbordreling
und beobachten, wie die Leere auf uns zukommt.
»Wie jeder amerikanische Junge.«
Er
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