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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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meine
Eltern jung und gesund sind und mir meine Schwester voll auf die Nerven geht.
In mein altes Zimmer, wo das Wort Tod nicht mehr als
ein abstrakter Begriff in meinem Merriam Webster ist.
    ZEIT: JETZT
    Die Straßen Athens holpern vorbei. Ich wäre froh, wenn die
Gehsteige voller Menschen wären, in deren Gedränge und Lärm ich mich verstecken
könnte, und doch komme ich in den leeren Gassen leichter voran. Ich bin wie
immer gespalten. Das Skalpell sitzt noch immer tief in meinem Arm, und ich kann
mich nicht entsinnen, ob es besser ist, so eine Klinge aus der Wunde zu
entfernen oder stecken zu lassen, bis Hilfe kommt. Aber es kommt keine Hilfe –
nur der Schweizer. Also ziehe ich das Ding heraus und verstecke es in meiner
Tasche wie ein schmutziges kleines Geheimnis. Ein roter Teppich rollt sich auf
meinem Arm aus. Ich brauche einen Unterschlupf. Ich brauche jetzt einen
Unterschlupf, damit der rote Teppich nicht noch länger wird und ihn direkt zu
mir führt.
    Mein Zufluchtsort ist ein Lagerhaus. Eine drei Meter hohe Mauer aus
Olivenöl-Kanistern schirmt mich von der Außenwelt ab. Und doch findet er mich.
Ich wusste, dass er mich finden würde.
    Â»Ich weiß, dass du da bist, Amerika. Ich sehe dein Blut. Steckt das
Skalpell noch in deinem Fleisch? Ich glaube schon. Läuft das Blut inzwischen
schneller? Ich weiß, wie man einen Menschen verletzt, Amerika. Ich weiß auch,
wie man tötet. Kannst du das auch von dir behaupten?« Er senkt die Stimme. Sie
ist jetzt nicht nur leiser, sondern kommt auch von weiter unten. Vermutlich ist
er auf der anderen Seite des Kanisterstapels in die Hocke gegangen oder hat
sich auf den Boden gesetzt. »Sie war nicht schwanger. Ich hatte mich getäuscht.
Aber ich fand etwas bei ihr. Willst du wissen, was ich fand? Vielleicht
schleppst du so ein Ding ja auch mit dir herum. Willst du es wissen? Du bist
doch sonst so neugierig. Ich spüre alle deine Fragen. Sicher überlegst du
jetzt: ›Was hat er bei diesem dummen kleinen Mädchen
gefunden?‹ Und du brennst darauf, die Antwort zu erfahren.«
    Schwarze Flecken kreisen vor meinen Augen, als ich den Gürtel aus
den Schlaufen meiner Jeans ziehe und damit meinen Arm abbinde. Die Flecken
dehnen sich aus, schnurren zusammen, verschwinden und werden durch neue
ersetzt. Meine Augen sind ein Kaleidoskop, durch das ich kaum etwas erkennen
kann. Sieht so der Tod aus?
    Â»Rede mit mir, Amerika! Frag mich, was ich gefunden habe, was ich
bei ihr gefunden habe.«
    Seine Stimme erreicht mich jetzt von weiter weg, aber ich weiß, dass
er sich nicht bewegt hat. Ich entferne mich. Ich drifte davon.
    Â»Was kümmert mich das?«
    Erst als er hämisch lacht, merke ich, dass ich die Worte laut
ausgesprochen habe.
    Â»Und ob es dich kümmert! Kümmern ist doch deine
Lieblingsbeschäftigung. Weshalb sonst hast du das dumme Ding mitgenommen? Was
bedeutet dir die Kleine?«
    Â»Nichts«, entgegne ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    Â»Das glaube ich nicht. Ich kenne die Menschen, Amerika. Ich weiß,
dass sie die Gründe für ihr Handeln oft selbst nicht verstehen. Lisa hat mir
erzählt, wie du sie von ihren Leuten weggeholt hast. Warum wolltest du sie
retten?«
    Â»Halt endlich dein verdammtes Maul!«
    Â»Als Arzt hat man es mit allen möglichen Menschen zu tun. Die
Frauen, die in meine Praxis kamen, hatten immer eine Geschichte parat. Manche
wollten die Pille. Manche wollten eine Abtreibung. Manche wollten sich
vergewissern, dass sie sich nirgends angesteckt hatten. Und alle wollten von
mir hören: ›Das ist okay.‹ Eine Bestätigung, dass ihr Verhalten recht war.
Absolution für ihre Sünden. Erlösung. Wen wolltest du in Wahrheit retten,
Amerika? Nicht dieses Mädchen, das dir nichts bedeutet hat. Sie war ein
Ersatz.«
    Jesse. Morris. Meine Eltern. Alle.
    Ich schließe die Augen. Hoffe, dass ich die Worte nicht ausspreche.
Die Realität weicht und macht etwas anderem Platz. Die schwarzen Flecken
wandern von meinen Augen in die Nervenbahnen.
    Â»Wen wolltest du retten, Amerika? Eine Schwester vielleicht? Deine
Familie? Einen Ehemann? Nein. Keinen Ehemann. Du trägst keinen Ring an deinem
knochigen Finger.«
    Jenny. Nick. Meine Eltern. Will ich jemanden retten? Steckt in mir
eine Art Möchtegern-Heldin? Ich fühle mich nicht wie eine Heldin. Ich habe nur
eine Scheißangst. Um mein Kind. Um meine Zukunft, die im Moment

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