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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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die Wangen. Ich wische sie mit dem Handrücken
ab.
    Â»Sie war ein menschliches Wesen. Ein halbes Kind. Was ist los mit
dir, du verdammter Scheißkerl? Du führst dich auf wie eine dieser irren Frauen,
von denen man hin und wieder in der Zeitung liest. Frauen, die eine Schwangere
aufschlitzen und ihr das Baby rauben! Du bist für mich kein Mann, sondern eine
wahnsinnige Frau !«
    Das bringt ihn in Rage. Er rennt auf mich zu, das Skalpell in der
Hand.
    Ich ergreife die Flucht. Er folgt mir. Wir rutschen auf Lisas Blut
aus, schlittern den Gang entlang. Zwei Gehetzte, die ihrer Sinne nicht mehr
mächtig sind. Der Schweizer hechtet auf mich zu, aber ich tauche nach rechts
weg, während er geradeaus schnellt. Ich ergreife einen der Plastikstühle. Die
Duplizität der Ereignisse ist mir durchaus bewusst. Ich habe mich schon einmal
in einer Notlage mit einem Stuhl zur Wehr gesetzt.
    Als er merkt, dass er mich verfehlt hat, dass ich nicht mehr vor ihm
bin, dreht er sich um. Im gleichen Moment versetze ich ihm einen Schlag ins Gesicht.
    Oh, denke ich, dieser
Schmerz! Ich begreife nicht, warum mich ein Schmerz durchzuckt, wenn ich ihm einen Schlag versetze.
    Dann wandert mein Blick nach unten, und ich sehe, dass sein Skalpell
aus meinem Arm ragt.
    Der Schweizer presst eine Hand an sein Gesicht und torkelt auf mich
zu, als klebten seine Sohlen in einer zähen Masse fest.
    Â»Ich schneide dich auf.« Er nuschelt durch eine geplatzte Lippe.
»Und dann zeige ich es dir.«
    In meinem Gehirn klickt ein Schalter. Das werde ich niemals
zulassen. Er hat Lisa umgebracht. Mehr bekommt er nicht von mir. Wenn er mich
umbringt, nehme ich ihn mit in den Tod. Das scheint ihm nicht klar zu sein. Ich
sammle alles an Feuchtigkeit, was ich in meiner Mundhöhle finden kann, und
spucke ihm die volle Ladung ins Gesicht.
    Ich stelle mir den missbilligenden Blick meines Vaters vor. Aber
mein Vater ist tot. Ich höre, wie meine Mutter all die Dinge aufzählt, die eine
Dame nie tun darf. Aber auch meine Mutter ist tot. Diese Sache tragen nur wir
beide aus, und ich schätze, unter den gegebenen Umständen würden mich meine
Leute kaum tadeln.
    Â»Ich schneide dich auf!« Seine Stimme knattert wie steifes
Packpapier.
    Ich ergreife die Flucht.
    ZEIT: DAMALS
    Â»Begleitest du mich?«, fragt Jenny an einem
Donnerstagnachmittag, als wir uns an den Stufen der Bibliothek treffen. Sie
trägt ihren roten Mantel und einen Kamelhaarschal. Ich bin ihr Ebenbild in
Schwarz.
    Â»Zu meiner Therapie, meine ich.«
    Ich sehe sie an, als habe sie den Verstand verloren. In diesem Fall
träfe es sich ausgezeichnet, dass sie gerade eine Therapie macht. Als ich ihr
das sage, lacht sie.
    Â»Lena ist fantastisch. Du wirst sie bestimmt mögen.«
    Meine Schultern sacken ein wenig nach unten. Irgendwo in meinem
Hinterkopf hatte sich der Gedanke eingenistet, dass Nick ihr Therapeut sein
könnte.
    Â»Ich weiß nicht recht.«
    Â»Es würde mir aber helfen.«
    Â»Inwiefern?«
    Â»Lena meint, meine zwanghafte Angst, im Stich gelassen zu werden,
sei wohl auf ein Kindheitstrauma zurückzuführen. Sie würde dich gern
kennenlernen, damit sie sich ein besseres Bild von mir machen kann. Also?«
    Â»Nein. Und überhaupt – wann haben wir dich jemals im Stich
gelassen?«
    Jenny ist eingeschnappt, als wir nach drinnen gehen, sie mit
hochgezogenen Schultern trotzig erhobenem Kinn. Sie schaut mich nicht an. Nur
ab und zu streift mich ihr Blick von der Seite.
    Der Ablauf ist mittlerweile Routine. Wir stellen uns ans Ende der
Schlange. Rücken Schritt für Schritt vor. Versuchen uns gegen die Verzweiflung
derer zu stählen, die soeben traurige Gewissheit erhalten haben.
    Zu schnell erreichen wir die Anschlagtafel – und doch nicht schnell
genug. Ich sehe Marks Namen zuerst. Er springt mir von der Liste entgegen. Ich
lege einen Arm um Jenny und versuche sie wegzuziehen.
    Â»Lass uns gehen, Jenny.«
    Aber es ist zu spät. Sie hat seinen Namen entdeckt. Mark D. Nugent.
Sie kann ihm nicht entrinnen. Von nun an werden die Buchstaben sie aus dem
Dunkel anspringen, wann immer sie im Bett liegt und die Augen schließt. Heute.
Morgen. All die Tage danach. Auch mich erfasst der Schmerz, aber ich kann ihm
jetzt nicht nachgeben. Zuerst muss ich Jenny von hier wegbringen.
    Sie lässt sich mit einem Stöhnen gegen mich sinken.
    Ich bringe sie zu ihrem Auto und fahre sie zu dem einzigen Ziel, das
mir

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