White Horse
Worauf?
»Hallo«, sage ich flüsternd.
Hallo.
FÃNFZEHN
Die Gemeinschaft der Wissenschaftler ist nicht untätig
geblieben, aber bis jetzt herrscht Verwirrung über die Ursache der Seuche. Und
so wie das Headset über das schüttere Haar ihres Sprechers rutscht, ist ein
gehöriges Maà an Unsicherheit geblieben. Er trägt seine Thesen vor, ohne an die
eigenen Worte zu glauben.
Er steht an einem Rednerpult und erklärt uns, dass wir an einer
viralen Form von Krebs sterben. Ein halbes Dutzend Mikrofone sind auf seinen
Mund gerichtet, um wie elektronische Schwämme jedes Wort aufzusaugen, das er
von sich gibt.
OWN hat Besitz
von euch ergriffen.
Doch er kann nicht sagen, woher die Seuche kommt. Als ein Journalist
ihn danach fragt, wischt er sich mit dem Handrücken die Nase und murmelt, dass
möglicherweise ein ganz gewöhnliches Virus zu einem Massen-Killer mutiert ist.
Wie die Spanische Grippe von 1918, einem Abkömmling der normalen, nur für Alte
und Kranke gefährlichen Grippe, dem während einer zweiten Welle Millionen von
jungen und gesunden Menschen zum Opfer fielen.
Aber ich weià es besser. Ich weià es besser. Das alles begann mit einem Mann namens George P. Pope.
Der Gedanke erfüllt mich mit Angst.
Als ich diesmal CDC anrufe, bittet
mich eine Tonbandstimme, Namen, Telefonnummer und Grund meines Anrufs zu
hinterlassen. Im Moment seien alle Leitungen besetzt, aber man werde
zurückrufen. Ich kann mein Wissen nur in einer virtuellen Schlange preisgeben.
Die Woche zieht sich hin.
Jeden Tag rumpelt der Aufzug ins Erdgeschoss. Wenn sich die Türen
öffnen, sage ich: »Guten Morgen, Porkchop«, weil ich mich bei dem Gedanken, er
sei noch da, einfach besser fühle. Ich werfe keine Münzen mehr in den
Automaten; die Zeitungen sind jetzt kostenlos. Ich nehme ein Exemplar heraus
und bemühe mich, nicht auf den schwachen Jenny-Fleck auf dem Asphalt zu
starren.
Dann fahre ich wieder hinauf in meine Wohnung. Ich mache mir nicht
die Mühe, den Alarm einzuschalten. Es ist sinnlos. Niemand ruft an und
überprüft, dass tatsächlich ich die Tür geöffnet habe. Die Zeitungen stapeln
sich. Krieg, nochmals Krieg und das Massensterben sind jetzt die Themen, die
für Schlagzeilen auf der ersten Seite sorgen. Die Leute haben endlich gemerkt,
dass alle ihre Verwandten und Bekannten krank oder tot sind. Die übrigen Seiten
sind arm an Inhalt und frei von Werbung. Selbst die Todesanzeigen haben sich
verringert, seit die meisten Angestellten der Annoncen-Abteilung selbst im Grab
liegen.
Ich liege auf der Couch und warte darauf, dass der Tod anklopft und
mir ein Angebot macht, das ich nicht ablehnen kann.
Eines Tages â ich glaube, es ist ein Freitag â klopft tatsächlich
jemand an meine Tür. Mein Körper wälzt sich von der Couch und torkelt zum
Spion.
»Machen Sie mir auf?«
Sergeant Morris.
»Nein.«
»Dann muss ich Ihre Tür eintreten, und ich bin heute wirklich nicht
in der Stimmung, Türen zu demolieren. Es war eine ScheiÃnacht, in der ich zwei
meiner Leute verloren habe. Also noch einmal. Machen Sie mir auf?«
Sie stakst auf dünnen Beinen herein, Tränensäcke unter den Augen.
»Wir hatten uns darauf geeinigt, dass Sie den Seelenklempner
aufsuchen«, sagt sie.
»Sie sehen beschissen aus.«
»Hübsch haben Sie es hier. Wie lange, glauben Sie, wird das noch
halten?«
»Halten?«
Sie nimmt unaufgefordert auf meiner Couch Platz. Lehnt sich zurück
und kämpft sichtlich dagegen an, dass ihr die Augen zufallen. »Wir haben es da
drauÃen mit drei Sorten von Menschen zu tun. Da sind zum einen die Toten. Wir
verbrennen sie inzwischen. Sie würden einen schlimmen Verwesungsgestank
verbreiten, wenn wir es nicht täten. Also sammeln wir sie ein und fahren sie
zum öffentlichen Schwimmbad auf dem YMCA -Gelände.
Zum Freibecken. Dort haben wir vor ein paar Monaten das Wasser abgelassen. Der
ideale Ort zum Leichenverbrennen.«
Sie lacht.
Zunächst bin ich entsetzt. Wie kann sie über brennende Leichenstapel
in einem städtischen Schwimmbecken lachen? Der blanke Horror. Doch im nächsten
Moment weint sie.
»So eine verdammte ScheiÃe«, stöÃt sie hervor. »Ich bin Soldatin.
Soldaten heulen nicht â¦Â«
»Und die anderen beiden Sorten?«, unterbreche ich sie. Als sie mich
aus verquollenen Augen verständnislos anschaut,
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