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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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zu kritzeln.
    Ich beobachte ihn. »Du schreibst eine Einkaufsliste.«
    Â»Ich schreibe eine Liste.«
    Â»Eine Liste.«
    Zehn Herzschläge später – ich hake sie ab – hört er zu kritzeln auf
und schiebt den Block wieder in die Tasche.
    Â»Ich möchte dir helfen. Dafür bin ich hier.«
    Â»Mir geht es gut. Ich komme allein zurecht.«
    Er geht vor mir in die Hocke und wickelt den Kopf so ein, dass er
uns nicht mehr anstarren kann.
    Â»Vielleicht muss bald jeder von uns allein zurechtkommen. Deshalb
solltest du Gemeinschaft annehmen, so lange sie noch möglich ist. Schlag nicht
nach der Hand, die sich dir entgegenstreckt, Zoe!«
    Zwischen Nick und mir ist noch nicht alles vorbei.

    Jesse schafft es an jenem Tag auf die Titelseite – und am
nächsten ebenfalls. Aber die United States Times macht einen anders-schlechten Menschen aus ihm. Einen Bösewicht. Einen
Verbrecher, der eine Firma in Verruf zu bringen versuchte, welche Medikamente
für eine Reihe von Leiden entwickelt hatte und nun alles daransetzte, uns von dieser
Seuche zu befreien.
    Am Abend gibt ein Prediger aus dem Süden der Epidemie einen Namen,
der leicht von der Zunge geht und sich in den Köpfen festsetzt.
    Â»Diese Seuche ist das Weiße Pferd, das gekommen ist, um die Sünder
zu holen. Das Ende naht. Das Ende ist da .« Millionen
von Sterbenden vernehmen die Botschaft, und seine Worte fallen auf fruchtbaren
Boden.
    White Horse. Es galoppiert mitten unter uns.
    ZEIT: JETZT
    Eine Woche vergeht, ehe ich ein paar Schritte tun kann,
ohne dass mir schwarz vor den Augen wird. Während dieser Zeit ernähre ich mich
besser als vor dem Krieg. Diese Randgruppen sind viel gewiefter als wir. Als
Außenseiter der Gesellschaft mussten sie Fertigkeiten entwickeln und pflegen,
die wir gut im Sozialgefüge vernetzten Menschen längst nicht mehr benötigten.
Sie bauen selbst an, was sie essen. Jedes Mitglied ihrer Sippe übernimmt
Aufgaben, die allen zugutekommen. Während unsere Zivilisation den Siegeszug von
Junkfood beklagte, beschritten sie weiter den Weg ihrer Vorfahren. Rädchen im
Getriebe einer schlichten, aber eleganten Maschinerie.
    Eine weitere Woche vergeht, ehe ich Yanni aufsuche. Ich glaube
einfach nicht, dass der Schweizer überlebt hat. Das kann nicht sein. Außer ich
habe mir seinen Tod nur eingebildet, um selbst siegreich sterben zu können.
    Â»Wie sieht der Mann aus?«, frage ich den Jungen.
    Falls er meine Frage sonderbar findet, lässt er sich nichts
anmerken. Jedes Wort ist für ihn eine Chance, ein wenig mit seinen
Englischkenntnissen anzugeben.
    Â»Er ist …«, Yanni streicht sich mit einer Hand über den Kopf, »…
weiß. Seine Haar ist weiß. Aber nicht wie alter Mann. Wie Filmstar.«
    Es ist der Schweizer. Er muss es sein. Ich weiß nicht, wie er
überleben konnte. Mit welchem Zauber sie ihn retteten. Oder auf welche Weise
ich versagte.
    Â»Blond«, sage ich mit schwerer, tauber Zunge. »Wir nennen diese
Farbe blond.«
    Er versucht das Wort nachzusprechen. »Blond.«
    Â»Ich will … meinen Mann … sehen.« Ein Gallenstein, bitter und
widerwärtig.
    Zwei Frauen kommen, beide in Batik-T-Shirts und Stufenröcken, die
ihnen schlaff bis an die Knöchel hängen. Sie reden mit dem Jungen, starren mich
offen an, ohne auch nur einen Gedanken an die Schicklichkeit ihres Verhaltens
zu verschwenden. Für sie bin ich eine Kuriosität, eine Fremde und eine Außenstehende.
    Â»Lebt er?«, frage ich. Bitte, lass ihn tot sein. Obwohl es gegen
alles geht, was ich glaube, und mich etwas weniger menschlich macht, wünsche
ich mir von ganzem Herzen, dass dieses Gebet in Erfüllung geht. Kann ich mir
noch selbst in die Augen schauen?
    Â»Es geht ihm nicht gut«, sagt der Junge.
    Â»Ich muss ihn sehen.«
    Â»Okay, ich bringe dich hin.« Er hakt mich unter. Er ist stärker, als
er aussieht. Drahtig. Wir gehen langsam.
    Ein Mann mit einem Schubkarren voller Wassermelonen kreuzt unseren Weg.
Es ist warm hier. Fühlt sich an wie Hochsommer. Schweiß kriecht wie eine Raupe
meine Oberlippe entlang. Unwillkürlich frage ich mich, wie jetzt das Wetter in
der Heimat sein mag. Obwohl es meine Heimat nicht mehr gibt, habe ich sie in
Erinnerung behalten, so wie sie vor dem Untergang war. Ein Monument. Mein Herz
ist mit Stahlwolle wund gerieben. Ich muss mich zum Reden zwingen. Wenn ich
nicht bald rede,

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