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White Horse

White Horse

Titel: White Horse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Adams
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Auf meiner braun verfärbten Kleidung klebt das Blut von drei
Menschen. Ein Gemisch aus Schweiß und Straßenstaub bedeckt mein Gesicht.
    Sie sind misstrauisch; ich bin misstrauisch. In letzter Zeit
verwandeln sich zu viele Gesichter in teuflische Fratzen. Mein Glaube an die
Menschheit hat sich zu einem dünnen Nebel verflüchtigt. Aber als ich den Arm
ausstrecke, merke ich, dass mein Rucksack ungeöffnet neben dem Bett steht.
Diese kleine Geste gibt mir eine Spur von Hoffnung, dass ich mich in der Obhut
von Leuten befinde, die noch ebenso menschlich sind wie ich.
    ZEIT: DAMALS
    Tassen mit dampfendem Tee kommen und gehen. Stimmen
umwogen mich, als sei ich Fischfutter. Schwach, ganz schwach, wird mir bewusst,
dass mein Verstand verschüttgeht, dass ich mit einem Fuß in einer Irrenanstalt
und mit dem anderen in einer Pfütze Blut stehe. Wie viel kann der menschliche
Geist ertragen, ehe er zerbricht?
    Dann ist er da.
    Und hier bin ich.
    Die Schreibtischplatte stöhnt, als Nick sich gerade genug Platz für
sein Hinterteil verschafft und gegen die Kante lehnt. Ich schaue nicht auf,
aber ich spüre, wie sich die Luft teilt, als er sich vorbeugt und die Leere
füllt. Er ist nahe genug, dass ich ihn riechen kann. Kein Kölnischwasser, kein
Aftershave. Nur Nick. Aus Sonnenschein gewoben.
    Â»Was gibt es, Zoe?« Seine Stimme streichelt meine Wange.
    Das ist alles, was er mir zu sagen hat? Was geht in ihm vor?
    Â»Der Himmel fällt herab.«
    Â»So fühlt es sich an, nicht wahr?«
    Â»Wir werden alle umkommen, so oder so, einer nach dem anderen.« Die
Hand, die nicht mehr meine Hand ist, reibt über meine Stirn. »Er hat das in
Gang gesetzt. Alles. Wir waren ein Experiment. Mein Apartment war sein Trinity
Site.«
    Â»Der Ort, an dem der erste Atombombentest stattfand?«
    Â»Er wollte dieses Medikament testen. Nein, kein Medikament – eine
Waffe.« Ich berichte ihm alles, was mir George Pope in den letzten Minuten seines
elenden Lebens anvertraut hat. Nick hört mir mit der Konzentration zu, die sein
Beruf erfordert. Er bleibt selbst dann noch aufmerksam und angespannt, als
meine Sätze zu Fragmenten zerfallen. Und er trägt diese altbekannte Maske, die
mir den Weg zu seinem eigentlichen Wesen versperrt. So viele Fragen. Wer bist
du? Wie erging es dir auf dem Schlachtfeld? Weinst du um deinen Bruder? Hast du
an mich gedacht, während du fort warst? Aber die Fragen kleben an meiner Zunge
wie sonnenwarmer Kaugummi an einer Schuhsohle.
    Â»Kannst du mir zeigen, was in dem Sack ist, Zoe?«
    Reumütig und verängstigt knie ich vor ihm nieder, halte ihm den
blutigen Sack entgegen wie ein Sühneopfer. »Willst du das wirklich sehen?«
    Â»Zeig es mir!«
    Sein Befehl ist in Seide gewickelt, aber doch ein Befehl. Irgendwo
tief in meiner Seele schlägt ein Gong. Ich habe keine Wahl. Ich muss gehorchen.
    Steife Finger lösen den Knoten, der den Laborkittel zusammenhält.
Der Stoff ist mit Blut durchtränkt und hat sich am Inhalt festgesogen. Nur
zögernd schält sich die feuchte rote Baumwolle von dem kalten Fleisch, das sie
umhüllt.
    Es ist nur Fleisch. Nichts anderes als Rindfleisch, Schweinefleisch,
Lammfleisch. Das ist die Lüge, die verhindert, dass ich mich übergebe. Sollte
ich auch nur eine Sekunde daran denken, woher dieses Fleisch stammt, würde ich
laut schreiend aus diesem Raum fliehen.
    Fleisch. Das Zeug, das es im Supermarkt zu kaufen gab.
    Nick atmet scharf ein. Ich schließe die Augen und warte. Er erspart
mir dumme Kommentare und Fragen. Es ist offensichtlich, dass der Kittel einen
abgetrennten Kopf enthält. Das muss nicht betont und unterstrichen werden.
    Â»Okay«, sagt er nach einer Weile. »Okay. Wessen Kopf ist das?«
    Ich schüttle den Kopf. Nur Fleisch, Zoe. Wie Huhn oder Schinken. »Er
war bereits tot. Ich folgte nur den Anweisungen.«
    Â»Wer gab sie dir?«
    Â»Er.« Ich deute mit dem Kinn auf das Ding, das
nur-Fleisch-vielleicht-Truthahn ist. »George Pope.«
    Er setzt sich. Verarbeitet meine Worte. Dann fragt er nach dem
Warum. Und ich erkläre ihm, dass Pope befürchtete, er könnte sich von den Toten
erheben.
    Â»Hast du das für möglich gehalten?«
    Â»Ich konnte es nicht ausschließen.« Andernfalls hätte ich ihm den
Kopf umsonst abgehackt.
    Nick holt einen Notizblock mitsamt Stift aus der Hemdtasche. Ohne
mich anzusehen, beginnt er auf das oberste Blatt

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