White Horse
versucht und nichts als Baumwolle einatmet.
Eine Minute. Ein Kampf. Zuckende Schultern. Ein Anziehen der Knie.
Zwei Minuten. Der Sensenmann kaut Pfefferminz, lockert sich, macht
sich bereit für die Verführung.
Und dann strampelt mein Baby, schnell und kräftig.
Meine Wut erlischt. Der Sensenmann trollt sich enttäuscht. Ich bin
müde, ich will ausruhen, ich will heim und meine Familie lebendig vorfinden,
ich will mein Kind zusammen mit Nick aufziehen. Ich will nicht töten müssen, um
selbst am Leben zu bleiben.
Der Schweizer wird nicht wieder zurückkommen. Er hat nicht einmal
wirklich gekämpft. Das waren nur die spasmischen Reaktionen eines Hirnstamms,
die bewirkten, dass er gleichzeitig Atem holen und einnässen konnte. Auch wenn
er nicht tot ist, so ist er es auf bestimmte Weise doch. Nur hat sich bisher niemand
die Mühe gemacht, mir die Botschaft zu überbringen.
»Ich weià nicht, wie zum Henker du es geschafft hast, am Leben zu
bleiben, du Dreckskerl. Aber wenn du nicht von selbst stirbst, bringe ich dich
doch noch um. Versprochen.«
Yanni wartet immer noch drauÃen, eine Zigarette im Mundwinkel. Ein
kleiner Junge, der erwachsen spielt. Ich würde ihm am liebsten den Glimmstängel
wegschnippen und ihm sagen, dass er noch eine Weile Kind bleiben soll, weil das
Erwachsenendasein nicht immer Spaà macht. Schwere Entscheidungen sind zu treffen.
Schlachten müssen geschlagen werden. Kämpfe sind unvermeidlich. Dann lasse ich
meine Blicke umherschweifen und erkenne, dass dies hier nicht der richtige Ort
für ein Kind ist. Es ist eine harte kleine Welt, eingekapselt in eine brutale
groÃe Welt. Früh erwachsen zu sein, rettet ihm vielleicht das Leben.
Er läuft auf mich zu und stützt mich, als er sieht, dass ich
schwanke.
»Er ist nicht wirklich dein Mann. Oder?«
»Nein.«
»Ich habe mir gedacht, dass es nicht die Wahrheit ist.«
»Weià das noch jemand auÃer dir?«
»Nein. Ich höre alles, aber niemand sagt etwas. AuÃer, dass er ein
toter Mann ist.«
»Gut.«
»Ist er ⦠böse?«
»Schlimmer als das.«
Er führt mich zurück zu meinem eigenen Bett. Ich wende mich nicht
mehr um. Wenn ich es täte, könnte ich umkehren und vollenden, was ich begonnen
habe. Ich will es. Ich will es nicht.
Wenn er sich von seinem Krankenlager erhebt, bringe ich ihn um. Kann
ich mir selbst noch in die Augen schauen, wenn ich das tue?
Ich glaube schon.
ZEIT: DAMALS
Nick beobachtet mich, um herauszufinden, wie stabil ich
bin. Und ich beobachte ihn aus unstillbarer Sehnsucht, wenn er gerade nicht
hersieht. Das Leben hat ihn verändert. Alles Weiche von früher ist wie
weggeschmirgelt, sodass er nur noch aus Ecken und Kanten besteht. Wären wir
zwei Fremde, die sich auf der StraÃe begegneten, so würde ich ihn genau unter
die Lupe nehmen und dabei meine Tasche gut festhalten.
»Ich bin nicht verrückt.«
»Ich weië, sagt er.
»Wirklich nicht.«
»Ich weiÃ.«
»Ist das dein Expertenurteil?«
»Kannst du schlafen?«
Seine Finger wirken selbst dann lang und kräftig, wenn sie einen
Füller umklammern. Fähige Hände. Vertrauenerweckende Hände. Ich stelle mir vor,
dass sie meinen Hintern umfangen, mir die Kleider abstreifen, meine Schenkel öffnen.
Wie sähe er wohl aus, wenn er unsere Kinder auf den Arm nehmen und an seine
breite Schulter drücken würde? Gefährliche Gedanken zu jeder Zeit, aber jetzt
gefährlicher denn je.
»Zoe?«
»EinigermaÃen.«
»Träumst du?«
»Nein.«
Er glaubt mir nicht. Ich erkenne es an seiner harten Kinnlinie. An
seinem Stahlblick. Er weiÃ, wann ich lüge.
»Ich träume von Pope. Fünfzigmal in jeder Nacht hebe ich diese Axt
und lasse sie fallen. Sein Kopf prallt zurück. Nicht wie ein Ball. Hast du
schon mal eine Melone fallen gelassen?«
»Sicher. Hin und wieder.«
»Genau so war es.«
»Wie fühlst du dich, wenn du aufwachst?«
Mein Gesicht brennt. »Beschissen. Wie sonst?«
»Das ist in Ordnung«, sagt er. »Gefühle sind gesund.«
»Ich bin nicht verrückt. Aber wenn ich
nicht verrückt bin, warum kommt es mir dann so vor, als wäre ich es?«
Einige Zeit später sagt Morris: »Er steht auf dich.«
Dampf steigt von den beiden Kaffeebechern zwischen uns auf.
»Liebe ist wohl im Moment zu riskant.«
»Wer
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