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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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tut mir Leid. Verzeih mir. Ich ...« Sie stieß einen leisen Laut aus, das Knurren eines verwundeten Tigers. »Ich fühle Dinge, die ich noch nie zuvor gefühlt habe.« Sie legte den Kopf auf Sarahs Schoß und fing an zu weinen. »Als ich das letzte Mal ein Kind in mir trug, fühlte ich mich so behütet. Uns gehörte Ägypten! Wir lebten auf streng bewachten Anwesen. Der Reichtum, die Macht – man kann sich das alles heute gar nicht mehr vorstellen! Und jetzt trage ich zum letzten Mal ein Kind in mir und möchte mich sicher fühlen und tue es nicht!« Sarah strich ihr über das Haar. Sie blickte auf den kraftstrotzenden, in eine prachtvolle Schmetterlingsrobe gehüllten Körper hinab. Das Gewand war vor sechshundert Jahren in China hergestellt worden und bestand aus tausenden, mit winzigen Nähten aneinander gefügten Seidenstücken. Es sah tatsächlich aus wie eine Wolke aus Schmetter-

lingen. Miriam machte kein großes Aufheben um die Robe, was jedoch nichts an der Tatsache änderte, dass es sich wahrscheinlich um das schönste Kleidungsstück handelte, das es gegenwärtig auf Erden gab. Sarah war immer der eher einsame Typ gewesen, aber Miriam schien jetzt wirklicheinsam. Durch ein Baby erhoffte sie sich – dies wurde Sarah nun klar –, der Einsamkeit entfliehen zu können, die sich hinter ihrer Eleganz und ihrem dekadenten Lebensstil verbarg. Zu erfahren, dass dieses Baby nur eine Fata Morgana war, eine Hal- luzination, wäre für sie das Schlimmste, das ihr widerfahren konnte.
    Wegen der Schmerzen wusste Paul, dass er am Leben war. Sein gan- zer Oberkörper fühlte sich an, als hätte eine Elefantenherde darauf herumgetrampelt. Er atmete in einzelnen, seltsam leichten Schüben, verspürte aber keine Atemnot. Daher wusste er, dass er an einer Lun- genmaschine hing.
    Er ging eine Inventarliste seiner Körperfunktionen durch und machte sich dabei seine Ausbildung und langjährige Erfahrung zunutze. Er konnte die Zehen und Hände bewegen und die Arme heben. Das war gut. Er war zu schwach, um die Beine emporzubringen. Das war weni- ger gut. Die linke Halsseite tat weh. Dies musste die Stelle sein, wo das verdammte Miststück versuchte hatte, sein Blut auszusaugen. Im Brustkorb spürte er eine schlimme Schussverletzung. Wenn er einat- mete, hörte er ein seltsames Blubbern, was bedeutete, dass sein Lun- genvolumen gefährlich gering war.
    Wenn er hochschaute, blickte er an die Decke eines Krankenhaus- zimmers. Er hörte die leisen Pieptöne von Monitoren, die seine Vital- funktionen überwachten, und neben sich sah er einen Metallständer, an dem ein Tropf hing.
    Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er es in ein Krankenhaus geschafft hatte, aber offensichtlich war es ihm gelungen. Sein Zustand verriet ihm, dass ihm in die Lunge geschossen worden war und seine Atemwege sich wegen der Blutung und der Schmauch- partikel entzündet hatten. Aber er hatte kein Fieber, also mussten die Antibiotika aus dem Tropf wirken. Und die Schmerzen waren diffus, konzentrierten sich nicht auf eine bestimmte Stelle, so wie es der Fall war, wenn man eine Kugel im Körper hatte. Okay, er war also operiert worden. Wie viel von seiner Lunge übrig war, wusste er nicht. Viel- leicht nichts, so wie es sich anfühlte.
    Alles in allem war es ihm schon dreckiger gegangen, und er hatte es

immer überstanden. Großartig, denn er freute sich schon auf das Massaker, das er nach seiner Genesung in einem bestimmten Stadt- haus in Manhattan anrichten würde ... es sei denn, seine Anwesenheit in diesem Krankenhauszimmer bedeutete, dass er sich wieder in Ob- hut der Firma befand.
    Nach fünf langen Minuten hob Miriam plötzlich den Kopf und blickte aus rot geränderten Augen zu Sarah auf. Diese schreckte instinktiv vor ihrer Herrin zurück. Miriam sog zischend die Luft ein, und Sarah be- griff, was los war: Sie hörte etwas.
    »Ist das Paul?« Doch ein kurzer Blick auf einen der Bildschirme, die in jedem Zimmer standen, verriet ihnen, dass es nicht Paul war. Zwar regte er sich hin und wieder und erwachte drei oder vier Mal am Tag kurz aus dem benebelten Zustand, in den ihn das intravenös verab- reichte Valium versetzte, aber sein derzeitiges Lungenvolumen war zu gering, um ihn vollständig erwachen zu lassen.
    Miriam sprang wie eine Katze auf die Beine. Einen Augenblick später stand sie an der Haustür und lauschte durch das massive Mahagoni- holz. Dann eilte sie durch das Foyer ins Musikzimmer, setzte sich an den Flügel und

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