Whitley Strieber
arbeitslos. Und am Ende würden bestimmte Regierungen den Vampir sogar zur verstärkten Ver- mehrung ermutigen und seine Habitate – die Ghettos, die wuchernden Slums, die Obdachlosenasyle – unter besonderen Schutz stellen. Ein Mann mit Brille trat auf Paul zu. »Sie werden uns sicherlich sa- gen können, woran der Mann gestorben ist.«
»Keine Ahnung. Ein trauriger Unglücksfall.«
»Wie bitte?«
»Sie sehen doch, in welchem Zustand die Leiche ist. Was soll ich dazu sagen? Ich weiß es auch nicht.«
»Sie kommen eigens aus Kuala Lumpur, nur um uns – was? – um uns nichts zu sagen?«
»Der Leichnam gehört der US-Regierung«, sagte Paul. »Ich werde die Überführung in die Wege leiten.« Er musste es tun. Er brauchte jede noch so kleine nichtmenschliche DNA-Probe, deren er habhaft werden konnte. Das Haar aus Tokio war nicht genug. Aber zwei unter- schiedliche Proben – dies würde die Mensch-Tier-Kontroverse been- den.
»Einen Augenblick«, sagte der Oberinspektor, »warten Sie –« »Die Sache ist abgesegnet.« Er holte das Fax heraus, das er vor sei- ner Abreise aus Kuala Lumpur vom thailändischen Außenministerium erhalten hatte. »‘Übergeben Sie den Leichnam an Mr. Paul Ward von der Amerikanischen Botschaft.’ Hier steht's.«
Der Mann las das Schreiben und nickte. Dann richtete er den Blick auf Paul und sah ihn flehentlich an. »Bitte, sagen Sie mir im Vertrauen, was hier geschehen ist.«
»Es war ein Unglücksfall.«
Man sah nur selten einen wütenden Thailänder. Sie waren ein zu- rückhaltendes und überaus höfliches Volk. Aber nun verhärtete sich der Blick des Inspektors, und Paul wusste, dass das, was er in den verengten Augen des Mannes sah, brodelnder Zorn war. Thailand war mit gutem Grund nie kolonisiert worden. Thais mochten höflich sein, aber für ihre Unabhängigkeit würden sie buchstäblich bis zum letzten Mann kämpfen. Keine Verhandlungen. »Nun, dann würde ich zumin- dest gerne erfahren, ob wir uns auf weitere Mordfälle dieser Art ge- fasst machen müssen.«
Paul deutete auf die gelbliche, stockartige Leiche. »Ich bin Wissen- schaftler. Genau das versuche ich herauszufinden.«
»Wie, ist es eine Krankheit?«
»Nein, nein, er wurde umgebracht. So viel steht fest.«
Das Zimmer war voller Polizisten, Gerichtsmediziner und juristischer Experten. Bangkok war über diese bizarre Lage nicht glücklich. Auch Interpol war nicht glücklich darüber, Fragen nach einem Mann stellen zu müssen, der mit ihrem hochwertig gefälschten Ausweis herumspa- ziert war, und gleichzeitig Thailand gegenüber so tun zu müssen, als hätten sie den Mann gekannt. Es bedurfte zahlloser verborgener Hän- dedrucke, um die Gemüter einigermaßen zu beschwichtigen.
Außerdem musste jemand die Witwe und ihre drei Kinder informie- ren, und Paul vermutete, dass dies an ihm hängen bleiben würde. »Ich bin Dr. Ramanujan«, stellte sich ein untersetzter, mit seinen ste- rilen Latexhandschuhen gestikulierender Mann vor. »Wer oder was hat das getan? Haben Sie irgendeine Idee?«
Paul hasste es zu lügen, doch in diesem Augenblick log er nicht. Er behielt sein Geheimnis für sich, und gleichzeitig offenbarte er es. »Ein Mörder, der eine ungewöhnliche, ganz spezielle Methode des Flüssig- keitsentzugs verwendet.«
»Und wo sind die Körperflüssigkeiten? Zum Beispiel das Blut?« »Die Flüssigkeiten sind verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Wir werden sie nicht finden.«
Ramanujan schüttelte bekümmert den Kopf. »Rätsel, Sir, Rätsel statt Antworten.«
Sie legten die Leiche in einen Leichensack und packten die gesamte gerichtsmedizinische Auslese in fein säuberlich auf Thai und Englisch beschriftete Plastikbeutel.
Auf dem Weg nach unten fragte ihn der Oberinspektor: »Hätten Sie
Lust auf einen Drink?«
Paul hätte nur zu gern einen Drink genommen. Zwanzig Drinks. Aber vor ihm lag eine dringende Mission, die ihn um den halben Erdball füh- ren würde. Er und seine Leute mussten auf schnellstmöglichem Weg dieser ‘Marie Tallman’ nach Paris folgen. Und zwar nicht erst mit dem Flug, der am nächsten Tag ging.
»Leider nicht. Ich muss so schnell wie möglich nach Paris.« »Es gibt heute keinen weiteren Flug von Bangkok nach Paris.« »Einen schon.«
»Ich kenne die Flugpläne, tut mir Leid.«
»Der, den ich meine, steht in keinem Flugplan.«
»Die Amerikanische Botschaft besitzt ein eigenes Flugzeug?« Paul dachte an den engen Falcon Jet der Amerikanischen Luftwaffe, der sie ins
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