Wicked - Die Hexen von Oz
sofort völlig besudelt war, und machten Anstalten, ihn ins Bett zu stecken.
»Wo schläft er?«, fragte Sarima.
Alle sahen sich an. Die Schwestern sahen Elphaba an, und Elphaba sah die Kinder an.
»Och, manchmal bei uns im Zimmer auf dem Boden, manchmal bei Nor«, sagte Manek.
»Er will immer bei mir im Bett schlafen, aber ich stoÃe ihn raus«, sagte Nor. »Er ist zu dick, da wäre kein Platz mehr für mich und meine Puppen.«
»Er hat nicht einmal ein Bett?« Sarima musterte Elphaba kalt.
»Was fragst du mich? Das ist dein Haus«, erwiderte diese.
Da regte sich Liir und sagte: »Die Fische haben mit mir geredet. Ich habe mit den Fischen geredet. Der Goldfisch hat mit mir geredet. Er hat gesagt, er â«
»Still, mein Kleiner!«, sagte Ãmmchen. »Dafür ist ein andermal Zeit.« Sie musterte die Frauen und Kinder in der Küche finster. »Es sollte eigentlich nicht die Sache des Ãmmchens sein, ein ordentliches Bett für ihn zu finden, aber wenn er sonst keins bekommt, nehme ich ihn mit auf mein Zimmer und schlafe selbst auf dem Boden!«
»Auf keinen Fall! Was für ein Gedanke!«, wehrte Sarima ab und lief voraus.
»Barbaren, allesamt!«, schimpfte Ãmmchen.
Was ihr niemand in Kiamo Ko jemals verzieh.
Sarima stellte die Tante für das, was Liir widerfahren war, streng zur Rede. Elphaba versuchte sich damit zu entschuldigen, dass sie nichts getan hatte, dass es nicht ihre Schuld war. »Es war irgendein Jungenstreich, ein Spiel, eine Mutprobe«, sagte sie. Als sie sich gegenseitiggenug Beschuldigungen an den Kopf geworfen hatten, fingen sie an, über die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen zu reden.
Sarima erzählte der Tante, was sie vom Initiationsritus der Jungen wusste. »Sie werden irgendwo drauÃen im Grasland ausgesetzt, nur mit einem Lendenschurz und einem Musikinstrument. Sie sollen Geister und Tiere aus der Nacht herbeirufen, sich mit ihnen bereden, von ihnen lernen, sie beschwichtigen, wenn sie beschwichtigt werden müssen, sie bekämpfen, wenn sie bekämpft werden müssen. Wer in einer solchen Nacht stirbt, besitzt eindeutig nicht die Einsicht zu entscheiden, ob sein Gegenüber bekämpft oder beschwichtigt werden muss. Es ist daher richtig, dass er jung stirbt und dem Stamm mit seiner Unfähigkeit nicht zur Last fällt.«
»Was erzählen die Jungen von den Geistern, die ihnen nahen?«, fragte die Tante.
»Jungen erzählen im Allgemeinen sehr wenig, zumal über die Geisterwelt«, antwortete Sarima. »Trotzdem schnappt man natürlich dies und das auf. Und ich glaube, einige der Geister sind sehr hartnäckig, sehr zermürbend, sehr stur. Im gängigen Verständnis sollte es Konflikt, Feindschaft, Kampf geben, aber ich frage mich, ob ein Junge, der mit Geistern in Berührung kommt, nicht eher einen ordentlichen Schuss kalten Zorn bräuchte.«
»Kalten Zorn?«
»O ja. Kennst du die Unterscheidung nicht? Bei uns erzählen die Mütter ihren Kindern immer, dass es zweierlei Zorn gibt: heiÃen und kalten. Jungen und Mädchen kennen beide, aber wenn sie älter werden, teilt sich der Zorn nach den Geschlechtern auf. Jungen brauchen heiÃen Zorn, um zu überleben. Sie brauchen den Drang, zu kämpfen, den Trieb, das Messer ins Fleisch zu stoÃen, die Kraft und das jähe Feuer der Wut. Das ist etwas, was die Jagd verlangt, die Verteidigung, der Stolz. Vielleicht auch der Sex.«
»Ja, ich weië, sagte Elphaba und erinnerte sich.
Sarima errötete und blickte unglücklich, fuhr aber fort: »Und Mädchen brauchen kalten Zorn. Sie brauchen das kalte Gären, den dauernden Groll, die Unversöhnlichkeit, die Kompromisslosigkeit. Wennsie etwas sagen, müssen sie wissen, dass sie niemals davon abgehen werden, unter keinen Umständen. Das ist der Ausgleich für einen beschränkteren Handlungsspielraum im Leben. Wenn du dich mit einem Mann anlegst, bedeutet das Kampf, und entweder du gewinnst, oder du regelst es gütlich, oder du liegst tot am Boden. Wenn du dich mit einer Frau anlegst, verändert sich die Welt unwiderruflich, denn kalter Zorn verlangt unausgesetzte Wachsamkeit in allem, was kränken und beleidigen könnte.« Ihr Blick durchbohrte Elphaba mit unausgesprochenen Beschuldigungen in Bezug auf Fiyero, auf Liir.
Elphaba dachte darüber nach. Sie dachte darüber nach, was heiÃer und
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