Wicked - Die Hexen von Oz
überhaupt kein Zweifel. Aber Madame Akaber hat lediglich Zukunftsprognosen abgegeben. Sie hat unsere Talente gesehen, wie man es von einer Pädagogin erwarten kann, und hat uns geraten, wie wir sie nutzbringend anwenden. Was ist daran so verwunderlich?«
»Sie wollte uns verlocken, insgeheim in den Dienst eines unbekannten Meisters zu treten. Das denke ich mir nicht bloà aus, Nessie.«
»Sie hat offensichtlich gewusst, wie sie dich beeinflusst, indem sie an deinen Verschwörungswahn appelliert. Ich kann mich an solche absurden Verlockungen nicht erinnern.«
Elphaba verstummte. Vielleicht hatte Nessie ja recht. Und doch saÃen sie sich jetzt, ein Dutzend Jahre später, gewissermaÃen als zwei Hexen gegenüber. Und Glinda war eine Zauberin für das Allgemeinwohl geworden. Am liebsten wäre Elphaba auf der Stelle nach Kiamo Ko zurückgekehrt und hätte das Grimorium verbrannt und den Besen gleich mit.
»Sie hat Glinda immer an einen Karpfen erinnert«, sagte Nessarose. »Kannst du dich wirklich vor einem Fisch fürchten, nach all den Jahren?«
»Ich habe einmal in einem Buch ein Bild von einem Seeungeheuer gesehen â oder einem Meeresungeheuer, falls man an Meere glaubt«, sagte Elphaba. »Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich solche Ungeheuer gibt, aber ich bleibe darüber lieber im Zweifel, als mich durch eigene Erfahrung von ihrer Existenz überzeugen zu lassen.«
»So etwas hast du auch einmal über den Namenlosen Gott gesagt«, bemerkte Nessarose leise.
»Fang nicht wieder damit an!«
»Ein so hohes Gut wie eine Seele darf man nicht ignorieren, Elphie.«
»Wie gut, dass ich keine habe, dann muss es keinen Streit darum geben.«
»Du hast eine Seele. Jeder hat eine.«
»Wie steht es dann mit der Kuh , die du gestern bekommen hast, und den Schafen ?«
»Ich spreche nicht von niederen Lebensformen.«
»Solche Reden kränken mich, Nessie. Ich habe diese Tiere befreit, dass duâs weiÃt.«
Nessarose zuckte die Achseln. »Du hast gewisse Rechte in Kolkengrund. Ich werde nicht umherlaufen und deine kleinen Befreiungsaktionen verbieten.«
»Sie haben schreckliche Dinge darüber erzählt, wie Tiere hier behandelt werden. Ich dachte, das wäre nur in der Smaragdstadt und inGillikin so. Ich hatte geglaubt, im ländlichen Munchkinland wären die Leute vernünftiger.«
»WeiÃt du«, sagte Nessarose, wobei sie der Dienerin ein Zeichen gab, ihr den Mund mit der Serviette abzuwischen, »bei einer Gebetsversammlung habe ich einmal einen Soldaten kennengelernt. Er hatte in einem Feldzug gegen aufbegehrende Quadlinger einen Arm verloren. Er sagte, dass er jeden Morgen den Stumpf schlug, der ihm von seinem Arm geblieben war. Das Blut kam in Bewegung, â nach einer Weile stellte sich ein Kribbeln ein, und er spürte eine Art Phantomarm. Das dauerte eine Weile, aber was er dabei nach und nach entwickelte, war das Gefühl, das er von früher kannte. Es ging erst nur zum Ellbogen, und schlieÃlich dehnte sich seine Erinnerung, die körperliche Erinnerung an den Arm im dreidimensionalen Raum, bis zu den Fingern aus. Sobald er gefühlsmäÃig über seinen Phantomarm verfügte, war er in der Lage, als Krüppel zu bestehen. Auch sein Gleichgewichtssinn verbesserte sich.«
Elphaba sah ihre Schwester an und wartete auf den Schlag.
»Ich habe es eine Zeitlang versucht. Monatelang. Ich lieà mir von Ãmmchen meine Stummelchen massieren. Sie gab sich die gröÃte Mühe, und schlieÃlich entstand in mir eine ganze vage Ahnung davon, wie es wäre, Arme zu haben. Diese Ahnung ging nie sehr weit, das kam erst, als Glinda sich diese Schuhe vornahm. Wenn ich sie jetzt eine Stunde lang an den FüÃen habe â ich weià nicht warum, vielleicht weil sie zu eng sind und mein Kreislauf rebelliert â, habe ich Phantomarme. Zum ersten Mal im Leben. Nur die Finger kann ich nicht richtig fühlen.«
»Phantomarme«, sagte Elphaba. »Das freut mich für dich.«
»WeiÃt du, wenn du dich in ähnlicher Weise schlagen würdest, innerlich, meine ich«, fuhr Nessarose fort, »dann könntest du eventuell eine Phantomseele bekommen oder etwas, das sich so anfühlt. Eine Seele ist eine gute innere Richtschnur. Unter Umständen würdest du sogar erkennen, dass sie gar kein Phantom ist, sondern echt.«
»Das reicht,
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