Wicked - Die Hexen von Oz
wie ein Phönix geformt war. Der goldene Hals und Kopf des Vogels bildete das Kopfende, und die Seiten sollten die Flügel darstellen. Am FuÃende kamen die ausgestreckten Klauen zusammen. Von den Schwanzfedern hatte sich der Tischler offenbar überfordert gefühlt, denn es gab keine. In seiner merkwürdigen Position sah der Vogel aus, als würde er von einem Flintenschuss rückwärts durch die Luft getrieben oder als läge er auf menschliche Art in den Wehen und versuchte, mit dem groÃen Fleischkloà niederzukommen, der ihm den Magen beschwerte.
Auf dem Boden stapelten sich Wirtschaftszeitungen, darauf lag eine altmodische Brille. Doch mit dem Lesen war es vorbei.
Wie ein grauer Koloss lag Madame Akaber bewegungslos da, die Hände über dem Bauch gefaltet, die Augen offen und leer. Sie glich immer noch einem groÃen Karpfen , nur der Fischgeruch fehlte. Eine Kerze war erst vor so kurzer Zeit im Zimmer angezündet worden, dass der Schwefelgestank des Streichholzes noch in der Luft hing.
Die Hexe packte ihren Besen fester. Von nebenan ertönte ein Hämmern an der Toilettentür. »Hast du gedacht, du könntest dich immer hinter deinen Studentinnen verstecken?«, schrie die Hexe völlig auÃer sich und hob den Besen. Aber Madame Akaber war eine schlaffe, gleichgültige Leiche.
Die Hexe schlug ihr mit dem flachen Besen seitlich auf den Kopf und ins Gesicht. Es hinterlieà keine Spuren. Da suchte sie sich auf dem Kaminsims die Ehrentrophäe mit dem gröÃten Marmorsockel aus und schlug Madame Akaber mit ihm den Schädel ein. Es gab ein Geräusch, als ob Holz gespalten würde.
Sie lieà das Ding in den Armen der Toten liegen. Die Aufschrift konnte von allen gelesen werden, nur nicht von dem geschnitzten Phönix, der den Kopf nicht drehen konnte. IN ANERKENNUNG IHRER VERDIENSTE, lautete sie.
7
Die Hexe hatte fünfzehn Jahre gewartet und war dann um fünf Minuten zu spät gekommen. Sie hatte daher gute Lust, umzukehren und Grommetik auseinanderzunehmen. Doch sie widerstand der Versuchung. Ob sie für die Schändung von Madame Akabers Leiche verurteilt und hingerichtet wurde, war der Hexe egal, aber sie wollte nicht gefasst werden, weil sie an einer Maschine Rache nahm.
Sie aà etwas in einem Restaurant und warf einen Blick in die Zeitungen. Dann schlenderte sie durch das Einkaufsviertel. Da sie sich noch nie für solche Dinge interessiert hatte, langweilte sie sich dabei, doch sie wollte hören, wie sich die Leute über Madame Akabers Tod unterhielten. Sie wartete gewissermaÃen auf die Kritiken. Und sie hatte den Verdacht, dass sie nie mehr nach Shiz zurückkehren würde und auch nicht in irgendeine andere Stadt. Dies war ihre letzte Gelegenheit, das »Loyale Oz« in Aktion zu sehen.
Als es jedoch langsam Abend wurde, begann sie, unruhig zu werden. Wenn die Sache nun vertuscht wurde und die neue Rektorin die Nachricht von der Gewalttat nicht nach auÃen dringen lieÃ, um den Skandal zu vermeiden, den ein Verbrechen an einer, die dem Kaiser so nahegestanden hatte, zweifellos erregen würde? Der Hexe kam dieBefürchtung, die Anerkennung für ihre Tat könnte ihr versagt bleiben. Sie zerbrach sich den Kopf darüber, wem sie die Sache beichten und sich darauf verlassen konnte, dass er oder sie schleunigst damit zur Polizei lief. Wie wäre es mit Krapp oder Schenschen oder Fanny? Oder mit dem Markgraf von Zehnwiesen, dem widerlichen Avaric?
Das Stadthaus des Markgrafen stand im Wildpark am Rande von Shiz. Als sie den Kaiserpark erreichte, wie er jetzt hieÃ, war es bereits später Nachmittag. Privatvillen standen weit verteilt auf dem Gelände, jede von einer eigenen Wachmannschaft, hohen Mauern mit Glasscherben obendrauf und bissigen Hunden geschützt. Die Hexe konnte mit Hunden umgehen, und hohe Mauern hielten sie nicht auf. Sie flog darüber hinweg auf eine Terrasse, wo eine Dienerin, die gerade ein Bluxblumenbeet goss, vor Schreck davonlief. Die Hexe traf Avaric in seinem Arbeitszimmer an, wo er mit einem groÃen Federkiel ein paar Dokumente unterzeichnete und honigfarbenen Whisky aus einem Kristallglas trank.
»Ich habe gesagt, ich komme nicht zum Cocktail, du musst das allein machen. Kannst du nicht zuhören?«, begann er, doch dann sah er, wer es war. »Wie sind Sie hier unangemeldet hereingekommen?« Er stutzte. »Ich kenne Sie doch. Nicht wahr?«
»Gewiss kennst du
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