Wicked - Die Hexen von Oz
unverdrossen weiter über die Dikte verbreitete: was sie bedeuteten und ob sie als Gedichte etwas taugten. »Woher soll ich das wissen? Wir sind Erstsemester, vergessen Sie das nicht«, sagte Galinda, die für ihr Leben gern zu Fanny, Milla und Schenschen abgerauscht wäre, die gerade Zitronen in die Teetassen einiger nervöser Jungen auspressten.
»Ich denke, Ihre Meinung gilt hier so viel wie die von Madame Akaber«, meinte Elphaba. »Das ist doch das eigentliche Wesen der Kunst, oder? Dass sie nicht moralisch verurteilt, sondern zum Widerspruch auffordert. Wozu sonst das ganze Theater?«
Ein Junge näherte sich ihnen. Galinda fand ihn nicht sehr erregend, aber alles war besser als die grüne Klette an ihrer Seite. »Einen wunderschönen Abend!« Galinda wartete nicht einmal ab, bis er seinen Mut zusammengenommen hatte. »Wie nett, Sie kennenzulernen. Sie sind bestimmt vom ⦠warten Sie â¦Â«
»Vom Brischko-Kolleg«, sagte er. »Aber ursprünglich bin ich aus Munchkinland. Wie Sie sicher sehen.« Das sah sie in der Tat, denn er reichte ihr kaum bis zur Schulter. Dabei sah er gar nicht einmal so schlecht aus. Ein goldgelber Wuschelkopf, ein strahlendes Lächeln, ein gesunder Teint. Sein Abendjackett war langweilig blau, aber auflockernd mit Silberfäden durchwirkt. Er wirkte nicht unadrett. Seine Stiefel waren blank geputzt, und beim Stehen, die FuÃspitzen nach auÃen, hatte er leichte O-Beine.
»Ich finde es wunderbar, Fremde kennenzulernen«, sagte Galinda. »Das ist doch das Schönste an Shiz. Ich bin Gillikinesin.« Sie konnte es sich gerade noch verkneifen, »natürlich« hinzuzufügen, denn ihrer Meinung nach war das nicht zu übersehen. Die Mädchen aus Munchkinland kleideten sich gewöhnlich dezenter, ja dermaÃen schlicht, dass sie in Shiz häufig für Dienerinnen gehalten wurden.
»Ja dann, auch Ihnen einen schönen Abend«, sagte der Junge. »Ich bin Junker Boq.«
»Damsell Galinda von Arduenna.«
»Und Sie?«, fragte Boq, an Elphaba gewandt. »Wie heiÃen Sie?«
»Ich gehe«, sagte sie. »Schöne Träume allerseits.«
»Nein, gehen Sie nicht«, sagte Boq. »Ich glaube, ich kenne Sie.«
»Sie kennen mich nicht«, sagte Elphaba, drehte sich aber dennoch um. »Woher sollten Sie mich kennen?«
»Sie sind Damsell Elphie, nicht wahr?«
»Damsell Elphie!«, rief Galinda belustigt. »Köstlich!«
»Woher wissen Sie, wer ich bin«, fragte Elphaba. »Junker Boq aus Munchkinland? Ich kenne Sie nicht.«
»Sie und ich haben zusammen gespielt, als Sie noch ganz klein waren«, sagte Boq. »Mein Vater war Bürgermeister in dem Dorf, wo Sie geboren wurden. Glaube ich jedenfalls. Sie kommen aus Binsenrain in Wederhartung, stimmtâs? Sie sind die Tochter des unionistischen Pfarrers, ich komme gerade nicht auf seinen Namen.«
»Frex«, sagte Elphaba. Ihr Blick war schräg und argwöhnisch.
»Frexspar der Gottgefällige!«, rief Boq. »Genau. Die Leute erzählen heute noch von ihm und von Ihrer Frau Mama und von demAbend, als die Uhr des Zeitdrachens nach Binsenrain kam. Ich war damals zwei oder drei, und ich durfte mit, aber ich habe keine Erinnerung mehr daran. Woran ich mich allerdings erinnere, ist, dass Sie mit mir in einer Kindergruppe waren, als ich noch in kurzen Hosen herumlief. Können Sie sich an Gornette erinnern? Das war die Frau, die uns gehütet hat. Und an Bfie? Das ist mein Vater. Erinnern Sie sich noch an Binsenrain?«
»Das ist für mich alles nur Schall und Rauch«, sagte Elphaba. »Ich könnte Ihnen nicht mal widersprechen. Aber ich kann Ihnen erzählen, was in Ihrem Leben passiert ist, bevor bei Ihnen die Erinnerung einsetzt. Sie wurden als Frosch geboren.« (Das war gemein, denn Boq sah wirklich ein wenig lurchartig aus.) »Sie wurden der Uhr des Zeitdrachens geopfert und in einen Jungen verwandelt. Doch in Ihrer Hochzeitsnacht, wenn Ihre Frau die Beine breit macht, verwandeln Sie sich wieder in eine Kaulquappe und â«
»Damsell Elphaba!«, rief Galinda und spreizte ihren Fächer auf, um sich die Schamesröte aus dem Gesicht zu wedeln. »Was sind das für Redensarten!«
»Ich habe keine Kindheit gehabt«, sagte Elphaba. »Sie können also erzählen, was Sie wollen. Ich bin in Quadlingen unter den Sumpfbewohnern aufgewachsen. Ich
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