Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
die Milchglasscheiben an den Bürotüren. Blumen, geschmackvolle Fotos und Kunstdrucke erinnerten eher an Wohnräume als eine Redaktion.
Hinter den Glasscheiben gab es Bewegung, überall wurde gearbeitet. Türen öffneten und schlossen sich und gaben den Blick auf die Mitarbeiter frei: junge Frauen und Männer, gekleidet wie normale Durchschnittsbürger zu Hause. Nett und adrett, aber auf keinen Fall von Welt . Entmutigt betrachtete ich meine neuen Klamotten und fühlte mich auf einmal overdressed und fehl am Platze.
Um mich abzulenken, blätterte ich in den Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. Schade, dass dies keine Fernsehzeitschrift waren, sonst wäre ich bestimmt fündig geworden, aber so? XXS-Models auf jeder Seite eigneten sich nicht wirklich, um meine flatternden Nerven zu beruhigen. Vonwegen Frau von Welt …
Da wehte eine freundliche und angenehm tiefe Stimme in meine trüben Gedanken: „Signora von Grünberg! Bitte entschuldigen Sie die Verspätung, aber ich wurde leider aufgehalten, scusi !“ Die Stimme, dunkel und verheißungsvoll wie eine Silvesternacht, scheuchte erneut die Bienen auf. Ich starrte auf meine Zeitschrift und hoffte auf ein Loch im Boden, das mich erlösen würde. Aber da war nichts, nichts außer dieser Stimme aus dem Speisewagen und den dunkelblauen Jeans, die sich in mein Hirn gebrannt hatten.
Atme, Yvi, atme! Und sag was Schlaues, jetzt!
Tja, was sagte man in einem solchen Moment? Schön, Sie wieder zu sehen, Mister Italiano? Was machte der überhaupt hier? Und warum begrüßte er mich so freundlich, als wäre er mein Termin und nicht irgendein kleiner Angestellter? Wo blieb seine Chefin, diese Andrea Calotti?
„Keine Ursache, ich bin etwas früher gekommen, um mir den Verlag anzusehen.“ Ich atmete tief und versuchte, sachlich und höflich zu bleiben, schließlich war Thea von Grünberg promovierte Sozialwissenschaftlerin und hatte täglich mit Menschen zu tun, die weit wichtiger waren als dieser Herr … wie hieß er noch gleich?
Verstohlen nahm ich meine Speisewagen-Bekanntschaft noch einmal unter die Lupe. Er hatte alle Attribute, die ich an Männern mochte: halblange dunkle Haare, freche Augen und Dreitagebart. Elegante, leicht gebräunte Hände mit gepflegten Fingernägeln näherten sich meiner Hand, als wollten sie sie schon wieder an ihre Lippen ziehen. Nervös strich ich über meinen Rock.
Um mich abzulenken, betrachtete ich seine Kleidung: Anscheinend war er ebenfalls Jeans-Fetischist, denn über der Boss-Jeans trug er jetzt ein dunkelblaues Polo-Shirt und eine perfekt sitzende edle Jeans-Jacke – ich hätte heulen können, wenn ich nicht gerade mit schämen beschäftigt gewesen wäre.
Inzwischen hatte er mich ebenfalls erkannt. „ Sie sind die Dottoressa von Grünberg?“
Ich nickte. „Und dieses Mal fast ohne Kaffeeflecken. Ihre Mutter hatte recht, das Wasser hat Wunder gewirkt.“ Schnell legte ich die Zeitschrift über den Hauch von Kaffeefleck, der immer noch den Rocksaum zierte.
Mein Retter brach in ein herzliches, befreiendes Gelächter aus und streckte mir die Hand entgegen. „ Signora von Grünberg, oder darf ich Thea sagen? Was für eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sie erlauben, dass ich mich vorstelle? Andrea Calotti, Chefredakteur der neuen Frauenzeitschrift PEPITA.“
Mein Lächeln gefror und ich betete, dass mein Gesicht dort blieb, wo es hingehörte.
„Ich dachte, Andrea sei eine Frau?“
Amateur! , lästerte Beelzebub. So etwas darf man denken, aber nicht sagen !
„Womit Sie sich in bester Gesellschaft befinden, Signora .“ Statt verlegen zu werden, stimmte der italienische Jeansgott sein herrlich sonores Lachen an, das verdächtig nach Schummerlicht und Dinner klang. Die Schmacht-Bienen hatten es in meinen Kopf geschafft und wurden von Yvis Engelein begeistert begrüßt.
Ich schüttelte den Kopf, um das letzte bisschen Verstand zurechtzurücken. Wette hin oder her, aber ich konnte doch nicht in aller Öffentlichkeit den Chefredakteur und zukünftigen Boss meines neuen Lebens anmachen. Oder doch?
Beelzebub, sag was! Irgendwas, das mich wieder auf den Boden holt! Lass mich jetzt nicht im Stich!
Doch die innere Stimme schwieg.
Feigling!, schimpfte ich.
Selber Feigling, schimpfte er zurück. Hättest dich ja besser vorbereiten können, wozu gibt es schließlich das Internet?
Womit er leider recht hatte, aber dafür war es jetzt zu spät. Alle Rollenspiele, die abwechselnd Anni, Svenja, Lotta und der Badezimmerspiegel
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