Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)
Ende der Leitung wartete. Mit zitternden Händen griff ich nach dem Hörer und flötete eine Spur zu heiter: „Guten Morgen!“
„Guten Morgen, Oma Yvonne“, flötete Mareike zurück und bellte dann: „Du Biest! Lässt uns die ganze Nacht schmoren, ohne etwas zu erzählen. Wenn Lotta nicht gewesen wäre, würde ich dir jetzt wahrscheinlich den Kopf abreißen.“
„Oh!“ Angesichts dieser Drohung zerfiel mein schöner Racheplan zu Staub. Und der Vorsatz von gestern Abend, die Sache mit der Blitzoma mit Humor zu nehmen, gleich mit.
„Tut mir Leid, Mareike, aber ich war gestern einfach nicht mehr in der Lage, etwas zu tun.“
„Ist es ein Junge oder ein Mädchen?“
„Ein Mädchen. Viereinhalb Pfund schwer, 39 cm groß und etwas zu früh dran, aber sonst putzmunter.“
„Wie geht es Svenja?“ Saschas Stimme im Hintergrund war leise und rau. Doch Mareike ignorierte ihn, wieder einmal.
„Ein Mädchen – oh wie süß! Hast du gehört, Sascha: Du hast eine Tochter!“ Ihr Tonfall erinnerte an Babypuppen mit rosa Schleifen im Haar, und ich schüttelte mich. „Da fallen mir doch gleich ein Dutzend niedlicher Namen ein“, plapperte sie weiter. „Nadine zum Beispiel, oder Nathalie-Jaqueline – ach, ich liebe diesen französischen Touch bei kleinen Mädchen!“
Ich ließ sie weiter plaudern und sagte irgendwann leise, aber bestimmt: „Kim.“
„... und wenn sie erst mal größer ist, werden wir sie im Ballett anmelden, das gefällt allen kleinen Mädchen. Ich kenn mich da aus, schließlich war ich ja auch mal eins, haha!“ Dann schien die Bedeutung meiner Worte durchzusickern. „Was meinst du mit Kim?“
„Sie heißt Kim. Kim Becker, sonst nichts.“
Mareike schluckte. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ Da ich nicht antwortete, schraubte sich ihre Stimmlage höher. „So ein fantasieloser Name, und das für ein Mädchen? Nein, darüber müssen wir noch einmal reden.“
„Tut mir leid, aber der Zug ist abgefahren. Svenja hat das Meldeformular bereits beim Standesamt abgegeben, damit ist es amtlich.“
„Dann macht ihr es eben wieder rückgängig.“
„Das geht nicht“, antwortete ich möglichst gelassen. „Bei unehelichen Geburten hat nur die Kindsmutter das Recht, den Namen auszusuchen, in diesem Fall also Svenja.“
„Und was ist mit Sascha? Hat der gar keine Rechte?“
„Erst, wenn er die Vaterschaft offiziell anerkannt hat.“
Ich konnte förmlich hören, wie es in Mareikes Kopf ratterte. Ob sich an der Sache mit der Vaterschaft noch etwas drehen ließ? Dann, etwas versöhnlicher, kam sie auf den eigentlichen Grund ihres Anrufes zurück: „Wann können wir zu ihr? Sascha ist total neben der Kappe, raucht eine Zigarette nach der anderen und kann vor Aufregung nicht mal etwas essen. Ich habe ihn für heute in der Schule entschuldigt, er kommt natürlich mit.“
Mein Blick wanderte in Richtung Wohnzimmer, wo meine Mutter noch immer schweigsam, aber deswegen nicht taub in ihrem Sessel saß.
„Jederzeit, denke ich. Aber Lotta will auch mit, und alle zusammen passen nicht in meinen Wagen, wir werden wohl euren nehmen müssen.“
Kurzes Zögern am anderen Ende der Leitung, ein flüchtiges: „Warte, das muss ich mit Julian absprechen“, dann eine freundliche Stimme die verkündete, dass man bitte nicht auflegen möge, die Verbindung werde gehalten.
„Und?“, fragte Lotta aus ihrem Exil.
„Sie wollen gleich los, Mareike spricht nur noch die Zeit ab.“
„Und Sascha?“
„Kommt mit.“
„Wird auch Zeit!“, grummelte sie.
Ein Knacken in der Leitung, dann war Mareike zurück. Sie wollte uns in einer halben Stunde abholen. „Habt ihr schon eine Spieluhr?“, fragte die frisch gebackene Großmutter zum Schluss.
Ich bejahte, zum zweiten Mal an diesem Morgen. „Sie spielt La-le-lu und liegt seit gestern in Kims Bett.“
„Zu dumm! Dann werde ich mir wohl etwas anderes einfallen lassen müssen. Was hat sie denn noch nicht?“
„Wie geht es Sascha?“, wechselte ich das Thema.
„Wie soll es ihm schon gehen? Kaum sechzehn und schon ein Kind – aber Sascha ist hart im Nehmen, der kommt schon klar. Wir sehen uns in einer halben Stunde.“ Klack, aufgelegt. Armer Junge!
Lotta setzte sich wieder zu mir, fragte nichts und erfuhr doch alles und hatte prompt einen guten Rat.
„Hat der Junge denn kein eigenes Handy?“
„Klar doch, ohne wäre er bei Svenjas sprunghaftem Tagesrhythmus aufgeschmissen.“
„Dann schick ihm doch eine SMS, die kann seine Mutter nicht
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