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Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Titel: Wickelblues & Wimperntusche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Wolff
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man erwarten an einem solchen Tag? Ich rieb mir die kalten Hände und überlegte, wer als nächstes dran war. Robert vielleicht? Oh nein, nein, das war dann doch zu familiär. Im Grunde meines Herzens gönnte ich ihm diesen intimen Moment nicht, nicht nach dem, was gewesen war.
    Aber wer dann? Wer hatte als nächstes das Recht auf die Wahrheit?
    Sascha! Natürlich, der arme Kerl wusste ja noch gar nichts von seinem Glück, ganz zu schweigen von seinen Eltern. Apropos Eltern: Mareike und Julian sollten natürlich auch nicht ungeschoren davonkommen. Entschlossen wählte ich ihre Nummer.
    „Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piepton!“ – Nicht wirklich originell und noch weniger inspirierend für meine Mission, aber einem netten, persönlichen Gespräch fühlte ich mich jetzt wirklich noch nicht gewachsen. Dem entsprechend fiel meine Ansage aus: „Hallo Oma Mareike, hallo Opa Julian”, flötete ich. „Sagt dem frisch gebackenen Papa Sascha bitte, dass er in der Frauenklinik in Essen erwartet wird. Vierte Etage, Zimmer 446, aber bitte erst morgen. Frau und Tochter sind übrigens wohlauf.“
    Hoffentlich fuhr ihnen der Schock so richtig in die Glieder, schließlich waren sie ja genauso verantwortlich für den Schlamassel wie ich. Warum hatten sie auch ihren Sohn so erschreckend oft allein gelassen, dass wir ihn adoptieren mussten?
    Tausendmal berührt ...
    Ich sprang aus dem Stuhl und packte fahrig ein paar Sachen für Svenja zusammen. Sascha und die anderen würden warten müssen, es gab jetzt Wichtigeres. Vorsichtshalber zog ich den Stecker aus dem Telefon und stellte das Handy auf stumm. Nein, ich wollte jetzt wirklich keine Fragen beantworten!
     

7
     
     
    „Sie sind also die Blitzoma?“ Der knubbelige Franzose mit dem orangefarbenen Shirt unter dem Arztkittel zog sich in die Länge und ragte bedrohlich über mich hinaus. Seine Gesichtszüge wurden härter und erinnerten auf einmal an Robert. „Rabenmutter!“, warf er mir an den Kopf. „Unsere Tochter und schon ein Baby, wie konntest du das zulassen?“
    Ich stöhnte. Dass der sich aber auch überall einmischen musste! Und das, wo er doch gar keine Ahnung von allem hatte. Schließlich lebte er seit Jahren mit Männern zusammen, und die bekamen bekanntlich keine Kinder und hatten deshalb keine Ahnung von …
    Keine Ahnung von was?
    Mit einem Mal war ich wach. Der Traum war nur zu Hälfte gnädige Phantasie, die andere Hälfte basierte leider auf Fakten: Meine Tochter lag im Krankenhaus und hatte ein Kind. Mit fünfzehn!
    Um nicht schon wieder loszuheulen, verzog ich mich ins Bad und sah der übernächtigt wirkenden Frau im  Badezimmerspiegel zu. Tiefe Ränder unter den Augen, verwischtes Make-Up und strähnige Haare zeugten von einer kurzen Nacht.
    „Gestatten: Yvi Becker, 35 Jahre alt, allein erziehende Mutter und neuerdings sogar Großmutter, Thekenkraft und erfolglose Kassiererin im KESKO-Markt“, grummelte ich und wusch mir die Ereignisse der letzten Tage aus dem Gesicht. Dann schlang ich einen grünen Seidenschal um Hals und Haare und setzte nach kurzem Suchen auch noch die Sonnenbrille auf; so zurechtgemacht würde selbst Anni mich nicht wieder erkennen, von Nachbarn und empörten Schwiegereltern ganz zu schweigen.
    Die Frau im Spiegel erinnerte mich an Dr. Thea von Grünberg, Sozialwissenschaftlerin, Familienoberhaupt und Powerfrau in einer Person. Und seit neuestem freie Redakteurin bei PEPITA, der jüngsten Frauenzeitschrift Deutschlands. Oder vielmehr an das Bild, das ich vor mir gesehen hatte, als ich diesen vermaledeiten Brief schrieb. Nie wieder würde ich Experimente mit meinem Namen machen, schwor ich, nicht einmal in Gedanken. Oder konnte Thea vielleicht sagen, wie man ohne Kohle einen Teenager und ein nicht weniger anspruchsvolles Baby großziehen sollte? Oder völlig übermüdet Windeln zu wechseln und gleichzeitig anderen Mut machen, darin nicht das Ende der Welt zu sehen?
    Oh, ich konnte mir schon denken, was eine Frau wie Thea jetzt sagen würde:
    Papperlapapp! Erinnere dich daran, dass wir Frauen mehrere Dinge gleichzeitig können, und stell dein Licht nicht in den Schatten. Das sind alles Herausforderungen und keine Schicksalsschläge, es kommt nur auf den inneren Standpunkt an.
    „Angeber!“ Ich riss Schal und Sonnenbrille herunter und stapfte zur Tür. Thea hatte gut reden, ihr Chefredakteur würde sie nie in einem Zustand wie jetzt sehen oder mit vollgeschissenen Windeln in der Hand und milchfeuchtem

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