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Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Wickelblues & Wimperntusche (German Edition)

Titel: Wickelblues & Wimperntusche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvie Wolff
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Tages verging schneller, als mir lieb war. Hatten die Tage mit Baby damals nicht mehr Stunden gehabt? Ich konnte mich nicht mehr erinnern.
    Robert quartierte ich kurzerhand bei Lotta ein („Du hast ihn geholt, also kümmere dich auch um ihn“), gab die Geburtsurkunde im Standesamt ab und informierte Svenjas Schule. Am Abend gönnte ich mir statt der Dusche ein ausgiebiges Bad und sah anschließend die aufgelaufenen Mails durch. Oh je, waren das viele! Eine davon kam von der PEPITA-Redaktion – halb neugierig und halb verschämt begann ich zu lesen:
     
Carissima Thea! (Meine liebste Thea? Der ging aber ran!) Vermutlich ist Ihnen nicht bewusst, was Sie erreicht haben, aber täglich erreichen uns neue Leserbriefe. Anscheinend haben Sie mit Ihrem Artikel in ein Wespennest gestochen, bessere Werbung für unser junges, noch wenig bekanntes Blatt hätte es gar nicht geben können! Um Ihnen möglichst bald die Gelegenheit zu einer gut durchdachten Antwort zu geben, haben wir Ihnen die ersten Mails angehängt, weitere Briefe werden folgen. Wir erwarten Ihre Antwort innerhalb einer Woche, wenn möglich wieder in Form eines Briefes an die Redaktion. Nur sollten Sie diesmal gezielt Stellung nehmen zu den gegen Sie ausgesprochenen Vorwürfen. (Vorwürfe? Wieso Vorwürfe? Wovon redete der überhaupt?) Wir würden gern in jeder Ausgabe einen ähnlich provokanten Artikel abdrucken, um Sie und uns im Gespräch zu halten, und erwarten den ersten zusammen mit Ihren Antworten bis in einer Woche, gern auch per Mail. Bis dahin grüßt Sie mit den schönsten Erinnerungen an Frankfurt - Ihr Andrea Calotti. Tanti saluti!”
     
    Ich stöhnte bei der Erinnerung an die von mir kreierte Gestalt der Superwoman Dr. Thea von Grünberg. Ein provokanter Artikel für PEPITA in nur einer Woche und dazu auf unzählige Leserbriefe antworten, wie sollte das gehen?
    Wozu hast du mal Soziologie studiert?
    Durch die aufkeimende Panik glühte die Erinnerung an Svenja und ihre Angst vor den anderen. Warum eigentlich nicht? Provokant wäre es allemal, Lästerschwestern als nützliche Mitglieder einer funktionierenden Gemeinschaft zu entlarven. Entschlossen rieb ich die Finger warm und öffnete die Suchmaschine. Welche Stichwörter wohl am ehesten weiterhelfen würden?
    Ich versuchte es mit allen möglichen Satzbausteinen, die das Wort „lästern“ enthielten, und wurde fündig. Schnell formten sich Worte, Thesen und Sätze, verknüpften sich, spielten miteinander und endlich, weit nach Mitternacht, stand das Grundkonzept für den neuen Artikel. Zufrieden betrachtete ich das drei Seiten lange Dossier. Wenn es Andrea um provokante Thesen ging, bitte sehr, diese hier würde Dr. Thea von Grünberg und PEPITA sicher im Gespräch halten.
    Müde streckte ich mich in meinem Bürostuhl aus und erschrak. Halb vier schon? Höchste Zeit für eine Mütze Schlaf, in knapp zwei Stunden würde der Wecker klingeln und mich unerbittlich zum Dienst an der KESKO-Kasse treiben.
     

März: Katerstimmung
     

8
     
     
    Ich befestigte die letzten Girlanden an der Birkenfeige, trat einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk. Zugegeben, die bunten Luftballons, Papierstreifen und Lampions erinnerten mehr an Kindergeburtstag als an die Rückkehr eines Teenagers. Aber ich hatte es mir nicht nehmen lassen und in den Erinnerungen an genau diese Zeit geschwelgt, als es nur Svenja und mich gab und unsere kleine Welt noch in Ordnung war.
    Sentimental, wie ich gerade war, griff ich zu dem Holzherz mit genug Vertiefungen für zehn kleine Geburtstagskerzen. Nun würde also Svenja dieses Ding jedes Jahr hervorzaubern und herrichten, helle Jauchzer hören, nasse Küsse bekommen und begeisterte Kinderärmchen um ihren Nacken spüren dürfen ... Ich musste mich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen.
    „Was ist?“, fragte Anni von der Seite her. Es klang etwas nuschelig, weil sie mit Zähnen und Fingern versuchte, einen frisch aufgeblasenen Luftballon zu verknoten. „Heulst du etwa?“
    „Nein, wo denkst du hin!“ Mehr oder weniger heimlich wischte ich mit dem Zipfel des Küchentuches über die Augen. „Hab mir nur ein Niesen verkniffen, die Sonne kitzelt in der Nase.“
    „Sonne ... ja nee, is klar.“ Anni verknotete ihren Ballon, pustete in die letzte Luftschlangenrolle und brachte ein beachtliches Durcheinander zustande, das sie mir nach einigem Zögern um den Hals band. „Das bleibt dran!“, befahl sie. „Damit jeder sieht, wie glücklich du bist, dass Svenja und

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