Wickelkontakt - Roman
meinem Arm hindurchgeschoben habe. Von innen drängeln jetzt Leute heraus, gucken mich genervt an, der Rentner, der damit gar nichts zu tun hat, und vielleicht nur neben dem Supermarkt steht, um frische Luft zu schnappen und weil er sonst nichts zu tun hat, bildet gleich mit allen anderen eine Solidargemeinschaft und seufzt ebenfalls genervt. » Mann, warum kann die Mutti ihren Wagen nicht einfach durch die Tür schieben?«, scheint in allen Gesichtern zu stehen. Ich werde jetzt ebenfalls ungeduldig. Der Opa, der nur glotzt und nicht hilft, kriegt es ab.
» Schönen Dank auch!«, schnauze ich.
Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
» Jetzt machen Sie mal hinne!«, meckert ein Anzugträger von innen.
» Ja, Sie sind ja schlau– wie denn bitte, wenn mir hier keiner hilft?«, erwidere ich, ebenso galant und höflich.
Die Situation ist verfahren, der Kinderwagen verkeilt, und ich stecke in der Tür zum Supermarkt fest. Meine Tochter scheint den Ernst der Lage zu begreifen und fängt mit Schreistufe eins an.
Ein leises » Üääh« trötet aus dem schicken Hartan. Es hilft mir jetzt herzlich wenig, dass das Gerät fast siebenhundert Euro gekostet hat. Ich werde trotzdem nicht wie Moses durchs Rote Meer in den Supermarkt geleitet.
Ein Schweißtropfen perlt an meiner rechten Schläfe entlang. Ich kann die Tür bald nicht mehr halten, will aber nicht, dass sie mit voller Wucht gegen den Kinderwagen knallt. So drücke ich mich weiter nach vorne, neben den Wagen, und schiebe die bunt beklebte Glastür mit dem Fuß auf, hieve den Kinderwagen an mir vorbei und bin drinnen. Fehlt nur noch der Applaus der wartenden Menge. Doch der bleibt leider aus.
Der Rentner im braunen Mantel betritt gemächlich hinter mir den Laden.
» Keine Automatiktür«, stellt er zufrieden fest, zeigt auf die Tür und grinst mich an.
Nee, keine Automatiktür, denke ich erschöpft. Zu mehr fehlt mir die Kraft.
6
Die nächsten vier Wochen verbrachte ich wieder mehr oder weniger damit, mich mit meinem Leben zu langweilen. Mona dagegen verbrachte ihre Zeit damit, mit Daniel durch die Betten zu hüpfen, wie sie es nannte. Ich gönnte es ihr, fand aber auch, dass sie nicht besonders begeistert von ihm erzählte. Für meine Begriffe nannte sie ihn ein paar Mal zu oft » Langweiler« oder » Vollidiot«. Ich meine, das war auch von Anfang an meine Meinung, aber ich wollte ja auch nicht mit ihm mein Leben verbringen. Und obwohl sie ihn eigentlich nicht mochte, traf sie sich so oft es ging mit ihrem » Dani«. Ich hielt mich mit meiner Meinung dazu dezent zurück, und sie fragte mich auch nicht. Vielmehr stürzte ich mich nun noch konzentrierter in die Arbeit, auch an den Wochenenden, und ging überhaupt nicht mehr weg. Ich wollte ja meinen Plan, eine gute Volontärin zu sein, wirklich in die Tat umsetzen.
Die komplette erste Märzwoche hatte ich frei, als Ausgleich für drei durchgearbeitete Wochenenden. Ich fuhr zu meiner Freundin Sissi, die vor drei Monaten von Hamburg nach München gezogen war. Sissi hieß eigentlich Nadine, hatte aber in der dritten Klasse einen Romy-Schneider-Fimmel und ist den dazugehörigen Spitznamen zu ihrem Leidwesen niemals wieder losgeworden.
Wir hatten uns ein halbes Jahr lang nicht gesehen und freuten uns total aufeinander. Am Münchner Hauptbahnhof fielen wir uns heulend in die Arme und küssten uns ab, sie hatte mir eine rote Rose mitgebracht, und vermutlich hielten uns alle für Lesben. Das wäre auch gar nicht schlimm gewesen– Sissi wäre nämlich genau mein Typ, wenn ich denn ein Typ wäre: einen Meter fünfundsechzig klein, etwas kräftig, mit großer Oberweite und langen, blonden Haaren mit hellen Strähnchen. Dazu ’ne kräftige Lache und süße Grübchen. Ich hatte sie wirklich lieb.
Ich weiß auch nicht, wie es dazu kam, dass wir schon am zweiten Tag so aneinandergerieten. Sie war anscheinend gereizt durch ihren neuen Job in einer Werbeagentur, ich war sowieso noch durcheinander wegen diesem Jonas– ich wollte ihn doch vergessen, was machte er noch so lange in meinem Kopf? Konnte er sich nicht langsam mal woanders rumtreiben?– und irgendwie wollte es der Zufall, dass ich noch am ersten Abend auf einer Brit-Pop-Party schamlos mit Sissis Schwarm Marco flirtete.
Dazu muss man sagen, dass sie seit sieben Jahren erfolglos in ihn verliebt war. Eigentlich wollte ich nur mal testen, ob er überhaupt hetero war– gut, und vielleicht nebenbei, ob ich bei ihm bessere Chancen hätte als sie. Leider
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