Wickelkontakt - Roman
Wäre ich nicht schon den ganzen Tag on air gewesen, wäre mir bestimmt die Stimme weggebrochen. So hatte ich aber schon Übung und wirkte wesentlich sicherer, als ich mich fühlte. Ich fügte noch eine Prise Arroganz hinzu und sagte: » Ach so, gut, dass du’s ansprichst. Ich dachte eher gar nicht.«
Verdutztes Schweigen am anderen Ende. Verständlich. Da schmeiß ich mich erst an ihn ran, und jetzt kriegt er ’ne Abfuhr. Das musste ja super zu dem Bild der Bekloppten passen, das ich ihm bis jetzt geliefert hatte. Ich versuchte, es ihm wenigstens zu erklären.
» Mir ist es lieber, wir brechen das gleich ab, bevor wir uns da noch in irgendwas reinsteigern. Ich muss mich im Moment total auf meinen Job konzentrieren und hab gar keinen Platz in meinem Leben für irgendwelche Beziehungsgeschichten oder ähnlichen Kram.«
Jonas berappelte sich schnell und tat, was ein Mann in seiner Situation einfach tun musste.
» Hm– aber es muss ja nichts Festes sein… Vielleicht nur ’ne Bettgeschichte?«
Also das war ja wirklich ’ne Frechheit. Wollte der doch glatt noch feilschen! Ich wurde sauer.
» Mann, nein, ich hab GAR KEINEN BOCK auf IRGENDWAS, okay?!«, patzte ich ihn an. Katzenkampf, ich fuhr die Krallen aus. Der sollte mir bloß nicht doof kommen! » Außerdem bist du überhaupt nicht mein Typ! Und jetzt lass uns mal aufhören, ich muss gleich in die Nachrichten!«
Selbst nach dieser Abfuhr blieb er lieb und freundlich. Zumindest wurde er nicht ausfallend, was ich aber auch durchaus verstanden hätte.
Wir sagten beide » also Tschüss«, verabschiedeten uns, für immer, und das war’s dann. Aus und vorbei, bevor irgendwas hätte anfangen können.
Meine Entscheidung war genau richtig gewesen. Ich hatte die Situation voll unter Kontrolle! Ich hatte es nicht nötig, mir wegen irgendwelcher Typen Gedanken zu machen, sondern konnte mich voll und ganz meiner Arbeit widmen, und in einem Jahr würde ich Redakteurin und Moderatorin sein. Das war es, was ich wollte. Ich wollte arbeiten bis zum Umfallen, moderieren üben, bis mir schwindelig wurde, und irgendwann reich und berühmt sein. Ich brauchte keinen Mann.
Vor lauter Zukunftsvisionen, wie ich später in der Harald Schmidt-Show erzählen würde, wie es mir gelungen war, so wahnsinnig reich und berühmt zu werden, verpasste ich fast meine News. Zum Glück warf ich um 21 . 58 Uhr zufällig einen Blick auf die Uhr und bekam zum zweiten Mal an diesem Tag fast einen Herzinfarkt. Ich riss meine Zettel aus dem Drucker, merkte aber erst, als ich ins Studio rannte, dass es die alten Meldungen von zwanzig Uhr waren, entschied in Sekundenbruchteilen, dass es eh keiner merken würde, hechtete um 21 . 59 : 30 auf den Stuhl, drückte mir die Kopfhörer auf, saß angespannt und mit zitternden Händen vor dem Pult, atmete zwanzig Sekunden tief durch, blendete ganz langsam Phil Collins aus und startete den News-Opener. Und los: » Es ist zweiundzwanzig Uhr. Hamburg. Nach den Ausschreitungen zum HSV-Spiel vom Wochenende sind die meisten der über hundert Verletzten heute aus den Krankenhäusern entlassen worden. Die Prügeleien zwischen HSV- und Werder Bremen-Fans werden keine weiteren polizeilichen Ermittlungen nach sich ziehen, gab der Senat heute bekannt. Gleichzeitig kündigte Bürgermeister Ole von Beust an, beim nächsten Spiel in der AOL-Arena den Ausschank von Bier zu verbieten.« Noch drei Meldungen. Danach Wetter und Verkehr: » Heute Nacht stürmisch mit orkanartigen Böen… Dagegen auf den Straßen nix los, ich wünsch allen, die jetzt unterwegs sind, eine gute Fahrt. Hier ist Nightlight auf Hanseradio, kommen Sie gut durch den Abend!« und wieder raus. Den vorproduzierten Show-Opener starten, warten, bis der erste Titel läuft, wieder in die Automation schalten– super. Kein Fehler. Raus hier! Zittern und zusammenbrechen war später angesagt.
Wieder an meinem Platz in der Redaktion angekommen, rauchte ich erst mal eine, um mich zu beruhigen. Dann rauchte ich noch eine. Eigentlich durften wir drinnen überhaupt nicht rauchen, aber außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, hieß es nicht so?
Das mit meiner Karriereplanung musste ich besser in den Griff bekommen, nahm ich mir vor. Nicht nur so rein theoretisch.
5
Im Baby-Walz-Paket ist ein Umstandskleid, das ich vor zwölf Wochen bestellt habe– sprich, als ich noch schwanger war. Zum Glück, oder eher leider, bin ich ja noch genauso dick wie im siebten Monat, und daher passt das
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