Wickelkontakt - Roman
schwindelig, und ich atme angestrengt. Aber immerhin hab ich extra meine Sportklamotten angezogen, und wenn ich jetzt weitermache, werde ich hinterher ganz glücklich sein, rede ich mir gut zu.
Ich steige wieder auf den Stepper, der Schweinehund wird unruhig. Nach weiteren drei Minuten Gesteppe rinnt mir der Schweiß am Rücken entlang, aber ich spüre schon deutlich die Endorphine, die durch die Bewegung freigesetzt werden. Schritt für Schritt kämpfe ich mich imaginäre Treppen hoch, bis ich bei zwölf Minuten angekommen bin. Und weiter, Heidi Klum hat’s auch geschafft, von nichts kommt nichts, will ich ewig so aussehen wie jetzt? Nein, entscheide ich und trete weiter auf der Stelle. Bei fünfzehn Minuten reicht es mir. Meine Beine wackeln, als ich vom Gerät klettere, ich fühle mich wie nach anderthalb Stunden Spinning. Trotzdem: Der Schweinehund ist besiegt. Ich habe es geschafft! Ich habe meine persönliche Höchstgrenze von zehn Minuten sogar um weitere fünf gesprengt! Ich bin wieder wer! Ich reiße die Arme hoch und hüpfe durchs Schlafzimmer, als hätte ich den Hanse-Marathon gewonnen.
Früher konnte ich eine Stunde steppen, ohne einen roten Kopf zu bekommen. Das will ich wieder schaffen. Aber nicht heute– und auch nicht morgen. Mit ganz neuen Glücksgefühlen im Bauch gehe ich duschen.
12
Auf der rosa gekachelten Siebzigerjahre-Toilette meines Senders schminkte ich mich für den heutigen Abend, obwohl es noch nicht mal zwölf Uhr mittags war. Mona hatte frei– klar, es war ja auch Samstag–, und so sahen andere Kolleginnen ab und zu herein, wünschten mir eine gute Sendung und ein schönes Wochenende und verabschiedeten sich bis Montag.
Nach meiner peinlichen Schauspieleinlage vor vier Tagen hatten Jonas und ich im Balzac noch Latte Macchiato getrunken, Jonas hatte beteuert, nichts davon zu wissen, dass die kleine Annika ihm schöne Augen machte, und ich hatte damit das Thema, zumindest nach außen hin, abgehakt. Trotzdem hatte die Begegnung mit der malenden Praktikantin etwas in mir ausgelöst. Ich wollte mich jetzt wirklich mehr um ihn bemühen, ihm zeigen, dass er mir wichtig war und ich, soweit es ihm recht war, eine echte Beziehung anstrebte. So eine Praktikantengöre sollte mir jedenfalls jetzt nicht dazwischenfunken.
Entschlossen tuschte ich meine Wimpern noch ein bisschen schwärzer, schraubte die Mascara zu und betrachtete zufrieden mein Spiegelbild. Jetzt konnte es losgehen. Nicht nur, dass ich mich für Jonas heute besonders hübsch gemacht hatte, ich konnte vielleicht sogar ein bisschen mit unserem Sendestudio punkten. Als Diplomingenieur für Medientechnik interessierte er sich bestimmt für so was.
Auf Außenstehende machte das Ganze tatsächlich immer einen ganz guten, weil professionellen Eindruck– wer sich allerdings auskannte, sah auf einen Blick, dass die Technik seit zwölf Jahren nicht erneuert worden war, dass wir immer noch im Sitzen moderierten, obwohl es total out war (weil angeblich im Sitzen die Stimme gequetscht wird), und dass wir uns kaum eine vernünftige Presseagentur leisten konnten, und selbst diese sollte bald gestrichen werden. Wirtschaftskrise, ick hör dir trapsen.
Das Studio war außerdem total verraucht, weil sich niemand an das Zigarettenverbot hielt, überall stand Zeug herum, das in jedem normalen Haushalt längst auf dem Sperrmüll gelandet wäre, und unterm Pult klebten Kaugummis. Der Blick auf einen Hinterhof wirkte immer trüb, auch wenn die Sonne schien, weil die Studiofenster verdunkelt waren. Vielleicht hätte man sie aber auch nur mal putzen müssen.
Neben dem Mülleimer gesellten sich zu alten Pizzakartons etliche leere Sektflaschen. Das Ganze stand meist von Freitagabends bis Montagmorgens herum, bis die Putzfrauen kamen, und konnte unbeaufsichtigt übers Wochenende vor sich hingammeln. Lüften durfte man nicht. Selbst wenn man gewollt hätte, hätte man die Fenster nicht aufbekommen. Zum Wohle der Technik wehte also immer ein dezenter Pizzaschachtel-alte-Sektflaschen-alte-Kippen-Duft durch die Klimaanlage, der einem nicht selten Würgereiz verursachte.
Während der Sendung schaltete ich, solange die Titel liefen, auf Automation (nur wirklich geübte Hörer erkennen den Unterschied zu selbst gefahrenen Blenden), betete, dass mein Chef nicht zuhörte, und veranstaltete neben der Sendung einen Großputz. Die Reinigungskräfte des Senders würden sich am Montag freuen, dass ihnen kaum etwas zu tun übrig blieb, aber ich wollte Jonas
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