Wickelkontakt - Roman
Fünfundsechzigtausend Hörer, die bestimmt schon alle ihr Radio lauter gedreht hatten und sich wunderten, warum sie statt der Nachrichten nur die lustige Dudelmusik hörten, freuten sich jetzt sicher diebisch über mein hingerotztes » Scheiße!«. So eine Panne ist ja auch was Feines, nur nicht, wenn sie einem gerade selber passiert.
Nichts anmerken lassen und weitermachen: » Mit Sophie Sonnenberg, um ungefähr siebzehn Uhr.« Hechel, hechel, vor Aufregung atmete ich viel zu laut, gleich würde ich hyperventilieren und vom Stuhl kippen. Jetzt hatte ich auch noch die Formulierung verwechselt, die Uhrzeit musste doch immer vorne stehen! Inzwischen war es auch schon 17 . 02 Uhr, ich würde mit meinem Backtiming durcheinanderkommen, das hieß, ich musste in der folgenden halben Stunde versuchen, zwei Minuten bei Titeln einzukürzen, um mit der Zeit für die restliche Stunde inklusive Werbung, die immer zu bestimmten Zeiten laufen musste, hinzukommen.
Dermaßen aus dem Konzept gebracht, verhaspelte ich natürlich die Nachrichten komplett, las den falschen Wetterbericht, nämlich den von gestern, vergaß beim Verkehr den ARI (den Funkknopf fürs Auto) und startete schließlich auch noch den falschen Stunden-Opener. Es lief » Hanseradio Feierabend« statt » Weekend«. Dazu noch meine Moderation: » Hallo, hier ist Sophie, gleich wieder mit am Start ( » mit am Start«– diese Standardformulierung sollte ich mir auch mal abgewöhnen!) der Brite mit der hohen Stirn, Phil Collins, mit einem Klassiker von 1982 und Shakira mit ihrer aktuellen Nummer zum Hüftschwung üben. Also, alle jetzt hübsch mitschwingen! Schönen Samstagnachmittag!« Und los. Als Shakira anfing, mit den Hüften zu wackeln, schwitzte ich allein beim Gedanken daran. Mein Nagelbett des Fingernagels, den ich mir vorhin eingerissen hatte, tat mir außerdem höllisch weh.
Ich vergaß, dass ich eigentlich noch weiter aufräumen wollte, und konzentrierte mich auf meinen nächsten Break. Noch zwanzig Minuten, dann wieder ein Wortbeitrag mit Interview. Ich las meine Anmoderation schon mal durch: » Wer hat den längsten… Kahn auf der Hanseboot-Messe?« Haha.
Um 20 . 03 Uhr schaltete ich erschöpft in die Automation und verließ das Studio– nach mir kam keiner mehr, über Nacht lief immer das Band, bis morgens dann wieder der erste Moderator kam. Völlig fertig und abgekämpft versuchte ich vor dem Klospiegel, mich einigermaßen für mein Date wieder herzurichten.
In weiser Voraussicht, weil Sendungen immer anstrengend sind, hatte ich mir extra ein Abend-Outfit mitgenommen. Ein enges schwarzes Kleidchen mit V-Ausschnitt, das ich über die Jeans zog, dazu eine rote Kapuzenjacke, die Turnschuhe tauschte ich gegen schwarze spitze Schühchen, die nicht allzu hoch waren. Jonas war ja schließlich so klein!
Wo blieb er eigentlich? Die voll geschwitzten Sachen stopfte ich in meinen Spind. Dabei stieß ich unverhofft auf eine Piccoloflasche Freixenet, die mir sehr gelegen kam. Zeit, ein Glas zu holen, blieb mir nicht, Jonas konnte schließlich jeden Moment vor der Tür stehen. Schnell das Fläschchen angesetzt, ein hastiger Zug– und prompt verschluckte ich mich wie noch nie in meinem Leben.
In dem Moment klingelte es. Ich röchelte, schnappte nach Luft, versuchte, den prickelnden Sekt, der mir inzwischen von hinten durch die Nase lief, zu ignorieren und wankte zur Tür. Hustend und prustend drückte ich auf den Türsummer, so dass Jonas (oder wer auch immer) im Erdgeschoss ins Haus konnte. Warten lassen wollte ich ihn auch nicht. Jetzt hatte ich, bis er mit dem Fahrstuhl oben bei uns im dritten Stock war, noch etwas Zeit, meine Atmung zu regulieren und mich zu beruhigen. Eine Minute später klingelte es wieder, er war jetzt oben auf dem Flur. Ich hustete immer noch, wollte ihn aber nicht länger stehen lassen, und öffnete die Tür.
Vor mir stand nun wirklich Jonas, hübsch und niedlich anzuschauen. Mein Anblick war wohl weniger niedlich, die Tränen, die mir vor lauter Husterei aus den Augen liefen, verschmierten mein ganzes Make-up, und ich atmete krampfhaft ein paar Mal tief durch.
» Wird’s denn gehen?«, erkundigte er sich etwas spöttisch.
Na, wonach sieht’s denn aus?, dachte ich, während ich mit hochrotem Kopf ein » Ja« japste. Der Begrüßungskuss musste vorerst ausfallen.
Stunden später, wie mir schien, hatte ich mich wieder beruhigt und mich zum dritten Mal heute für den Abend geschminkt. Ich war bereit. Für was auch
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