Wickelkontakt - Roman
wohl auch noch die abschließende persönliche Gardinenpredigt, die ich mir gerne erspart hätte. Er sich vielleicht auch, aber nun ja, diese Suppe hatte ich mir ja selber eingebrockt.
Ich setzte mich in den mir schon bekannten, abgewetzten schwarzen Ledersessel, er seufzte und schloss die Tür. Dann seufzte er wieder.
» Also, Frau Sonnenberg, es tut mir ja leid, aber es ging nicht anders«, fing er an. Wieso entschuldigte er sich denn jetzt bei mir? War vielleicht alles nur ein Missverständnis?
» Ich bin ab morgen für drei Wochen im Urlaub, das heißt, heute ist unser letzter gemeinsamer Arbeitstag. Und ehrlich gesagt bin ich nicht gerade traurig darüber.«
Aha, daher wehte der Wind.
» Ich stelle Ihnen natürlich noch ein Zeugnis aus, und dann hoffe ich, dass Sie sich für die Zukunft mal ein bisschen zusammenreißen und sich überlegen, was Sie eigentlich wollen.«
Ja, da hatte er Recht. In dem Moment fiel mir ein, dass ich eigentlich dringend nach Hause musste, um in meinen Briefkasten zu schauen. Jetzt wurde ich ganz zappelig, vielleicht hatte sich Hamburg aktuell ja schon gemeldet, und ich würde einer langen, düsteren Zukunft als Hartz-IV-Empfängerin entgehen?
Mit ein paar netten, aber ziemlich schnell abgehandelten Worten, dass er mir für die Zukunft nun alles Gute wünschte und ich hoffentlich aus meinen Fehlern lernen würde, entließ mich Herr Kaiser. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als mir endlich klarwurde, dass es das hier nun wirklich war, flüsterte ich: » Danke, dass ich hier so viel lernen durfte«, stürzte tränenblind in die Redaktion und begann mit der anstehenden Arbeit. Zum Glück war heute viel zu tun. Bis zum Ende hatte ich noch drei Wochen Nachrichtenschicht, und es lief alles gut. Über meine Sonnenbrille lachten einige, das war mir aber egal, wenigstens sahen sie meine Augen nicht.
Die Zeit bis zum Feierabend schien überhaupt nicht zu vergehen. Als ich kurz nach elf Uhr abends mit fast hundert Sachen nach Hause fuhr, wurde ich auf der Hoheluftchaussee auch noch geblitzt, stellte meinen Golf vorm Haus ins Halteverbot und rannte zum Briefkasten.
Ja, da war er, der Brief! Mit zitternden Fingern riss ich das Kuvert von Hamburg aktuell auf und las:
Sehr geehrte Frau Sonnenberg,
vielen Dank für Ihre Bewerbung auf unsere Anzeige.
Aufgrund Ihrer aussagekräftigen und sehr angenehmen Bewerbungsunterlagen möchten wir Sie am 21 . 4 . 2004 zu einem Kennenlerngespräch einladen.
CvD Martin Marciewski erwartet Sie um 10 Uhr im Konferenzraum K 214 . Sollte Ihnen der Termin nicht zusagen, melden Sie sich bitte telefonisch bei A. Zimmermann.
Nein, natürlich sagte mir der Termin zu! Wenn meine Berechnungen stimmten, hatte ich jetzt noch ganze zwei Wochen und zwei Tage Zeit, meine gesamte Arbeitseinstellung zu überarbeiten, fünf Kilo abzunehmen und jeden Tag Zeitung zu lesen. Das Bewerbungsgespräch würde ich auf jeden Fall zu meinen Gunsten entscheiden. Und dann: nie wieder krankmelden, nie wieder feiern und nie wieder Alkohol! Meinen jugendlichen Leichtsinn würde ich aufgeben und ein neues Leben beginnen. Zumindest nahm ich mir das ganz fest vor.
25
» Hebt die Babys jetzt hoooooch über eure Köpfe!«, ruft die Schwimmlehrerin Katrin, und alle Mütter in dem warmen Kinderbecken halten ihre kleinen Schätze so hoch sie können. Maja findet es super, und ich freue mich, dass es ihr gefällt. Jetzt ist sie vierzehn Wochen alt, hat die Dreimonatskoliken gut überstanden und ist ausgesprochen fröhlich. Ihren Schlafrhythmus hat sie, seit sie in ihrem eigenen Zimmer schläft, dem unseren auch angepasst, so dass wir nachts meistens acht Stunden schlafen können, und tagsüber trinkt sie im Vier-Stunden-Takt. So hatte ich mir das Mamidasein immer vorgestellt.
Nachdem die Erfahrung beim NEMO-Kurs vor zwei Wochen zwar sehr natürlich, aber doch nicht so ganz nach meinen Vorstellungen war, hatte ich gleich auf der Internetseite des Hamburger Bäderlandes geguckt, wann das nächste Babyschwimmen im Holthusenbad stattfindet. Zum Glück ist der Kurs am Mittwochvormittag nicht überfüllt, also durften wir gleich daran teilnehmen. Wir sind schon zum dritten Mal hier, und mir macht es mindestens genauso viel Spaß wie Maja. Im Badeanzug bin ich zwar auch keine Schönheit, aber ich kann mich ja im Wasser verstecken. Und die anderen Mütter sehen auch aus wie Mütter, das ist schon mal sehr sympathisch.
» Jetzt rufen wir alle ›huiiiiiiii platsch‹ und lassen die Babys an unseren
Weitere Kostenlose Bücher