Wickelkontakt - Roman
eine gewisse Gnadenfrist bedeutet. Dem Arzt zusehen zu müssen, wie er eine zentimeterlange Nadel in dein Kind stößt, das natürlich vor Schreck und Schmerz sirenenartig anfängt zu heulen, ist ja weder für mich noch für sie eine besonders schöne Erfahrung. Bis dahin bleibt uns also noch etwas Zeit, jetzt muss ich erst mal zeigen, wie ich mich als Krankenschwester so mache. Draußen ist der Hochsommer ausgebrochen, die Nachbarn grillen und lachen im Hof, in unserer Wohnung sind dreiunddreißig Grad, und Maja hat eine fette Bronchitis, die sich zur Lungenentzündung auswächst, wenn wir sie nicht in den Griff kriegen.
Vielleicht war das mit dem Babyschwimmen neulich, als sie so doll Schnupfen hatte, doch keine so gute Idee. Sarah, die Mama von Oskar, wollte aber auch kommen, obwohl ihr Kleiner etwas erkältet war, und ich hatte mich so gefreut, sie wiederzusehen. Sie ist wirklich eine ganz Liebe, und wir können viel zusammen lachen. Außerdem dachte ich, Schwimmen wäre wie Sauna, man soll ja auch in die Sauna, wenn man erkältet ist. Oder gerade dann nicht?
Jedenfalls sind Jonas und ich Tag und Nacht wach, ständig in Alarmbereitschaft, um mit Maja wieder zum Arzt oder notfalls nachts ins Krankenhaus zu fahren. Ich kühle ihre kleine Stirn mit kalten Tüchern, mache ihr von ein Uhr bis halb fünf morgens Wadenwickel und flöße ihr Nurofensaft ein, damit das Fieber von vierzig Komma acht wieder unter vierzig sinkt. Sie lacht gar nicht mehr, sieht mich nur aus großen glänzenden Augen an und weint viel. Ich habe sie nur noch auf dem Arm, trage sie durch die Wohnung, stehe mit ihr am Fenster, singe, erkläre ihr die Welt. Inhalieren will sie nicht, schlafen kann sie nicht, ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Da sie jetzt gerade erst sechs Monate alt ist, möchte ich auf Antibiotika verzichten. Sollte es zur Lungenentzündung kommen, wäre das aber laut Constantin, unserem Arzt, den ich inzwischen duze, die einzige Alternative.
So erschöpft war ich in meinem Leben noch nicht. Am vierten Tag sinkt das Fieber, ihre Atmung normalisiert sich. Jetzt brauche ich Urlaub, und das sage ich Jonas. Er macht auch nicht gerade einen gesunden Eindruck, überhaupt sind wir beide in den letzten sechs Monaten um mindestens sechs Jahre gealtert. Ich sehe einfach nur noch fertig, verbraucht und elend aus, habe graue Haut und Falten am Hals und das Schlimmste daran: Es ist mir egal! Ich bin nur froh, wenn mein Kind gesund ist, unter seinem Entchenspielbogen auf der Krabbeldecke liegt und lacht.
Trotzdem würde uns ein verlängertes Wochenende an der Nordsee bestimmt guttun. Ich will noch warten, bis Maja vollends gesund wird, und dann in einem kleinen Häuschen am Strand den Sonnenuntergang genießen, am liebsten mit einem Glas Wein in der Hand. Das hab ich mir jetzt wirklich verdient. Für den nächsten Monat, August, bekommen wir natürlich nichts mehr, da wir mitten in der Feriensaison stecken. Mit ganz viel Glück und nach viel Telefoniererei erwische ich in St. Peter-Ording eine Zimmervermittlung, die zufällig für Ende September noch ein Häuschen frei hat.
Noch fünf Wochen, dann starten wir unseren ersten Familienurlaub. Ich bin ja mal gespannt.
28
» Viel Glück für heute, mein Herz«, sagte Jonas, als er sich am Mittwochmorgen verabschiedete, um zur Arbeit zu fahren. Ich streckte mich gemütlich im Bett aus und dachte, wie schön es war, dass ich jetzt mal freihatte. Dann setzte ich mich alarmiert auf.
» Wieso viel Glück für heute?«, fragte ich leicht misstrauisch.
» Du hast doch heute dein Vorstellungsgespräch! Mensch, Sophie, das kann doch nicht wahr sein, dass du das vergessen hast!?«
» Nein, da hast du was verwechselt.« Ich schüttelte vehement den Kopf.
» Das Gespräch ist morgen, nicht heute! Heute wollte ich mich noch mal richtig vorbereiten! Ich bin ganz, ganz sicher, dass das Gespräch…« Moment mal. War ich wirklich so sicher?
» Scheiße«, fluchte ich und warf die Bettdecke von mir und meine Füße auf den Boden, rannte in die Küche und suchte in meiner Tasche nach dem Brief mit der Einladung zum Gespräch, hier war er. Triumphierend hielt ich ihn Jonas hin.
» Schau, hier steht es: am 21 . 4 . um zehn Uhr.«
» Ja,« Jonas nickte, » das ist heute. 21 . 4 ., richtig.« Dann deutete er noch auf meinen Kalender, der an der Wand hing, ein Werbegeschenk meiner Bank, und tatsächlich war dort der 21 . ein Mittwoch, nicht wie ich immer dachte, der Donnerstag.
Es war neun Uhr.
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