Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
endlich dazu durchgerungen, einen solchen Beschluß zu fassen. Er wollte in den Ruhestand treten und den Krieg anderen überlassen. Damit würde er sogar den Wünschen der Parteimitglieder im Oberkomman do nachkommen. Aber wenn auch nur gerüchteweise bekannt wurde, was er im Keller zu finden befürchtete, drohte ihm eine unehrenhafte Entlassung aus der Armee. Weil man ihn für verrückt halten würde.
Lehmverkrustete Stiefel und abgeschürfte Finger … Lehmverkrustete Stiefel und abgeschürfte Finger … Dieser Gedanke ließ ihn nicht ruhen.
Wörmann passierte das Tor, ging die Treppe hinunter und dachte daran, was ihn erwartete. Schon viel zu lange hatte er sich gegen die Erkenntnis gesträubt, was mit der Wehrmacht und dem Krieg nicht stimmte. Er hatte geglaubt, irgendwann käme alles von ganz allein in Ordnung, aber er wußte nun, daß er sich geirrt hatte. Die Grausamkeiten, die die siegreichen Eroberer an den Tag legten, waren keine bedauernswerten Entgleisungen menschlicher Moral – sie wurden geplant und mit System ausgeführt. Wörmann begriff, daß er sich zu einem Komplizen der Nazis machte, wenn er weiterhin aktiv am Krieg teilnahm. Er hatte bereits Schuld auf sich geladen, und um Erlösung zu erfahren, mußte er sich dem Grauen im Gewölbe stellen.
Die Soldaten, die an der Wandöffnung Wache halten sollten, waren noch nicht zurückgekehrt. Um so besser. Dann beobachtet mich niemand. Dann brauche ich nicht das Angebot einer Eskorte abzulehnen. Wörmann griff nach einer Taschenlampe und zögerte vor dem Loch im Boden, den Blick auf die steinernen Stufen gerichtet, die sich tief unten in Finsternis verloren.
Vielleicht bin ich wirklich verrückt, dachte er plötzlich. Was für ein Wahnsinn, den Dienst zu quittieren! Ich habe die Augen lange genug verschlossen – warum nicht so weitermachen wie bisher? Das Gemälde in seinem Zimmer fiel ihm ein – die am Strick baumelnde Leiche … Eine Leiche, die seit kurzer Zeit einen Bauchansatz aufzuweisen schien. Himmel, ich bin tatsächlich durchgedreht. Niemand zwingt mich dazu, allein das Gewölbe aufzusuchen. Noch dazu in der Nacht. Das ist heller Wahnsinn! Warum warte ich nicht bis morgen?
Lehmverkrustete Stiefel und abgeschürfte Finger …
Nein. Es blieb ihm keine Wahl. Er mußte jetzt nach unten. Aber er wollte nicht auf eine Waffe verzichten. Wörmann hatte seine Luger bei sich – und auch das silberne Kreuz, das er dem Professor geliehen hatte.
Langsam setzte er sich in Bewegung.
Auf halbem Wege ins Gewölbe hörte er etwas; er blieb stehen und lauschte. Ein leises, beständiges Kratzen und Schaben, irgendwo rechts. Ratten? Der Major ließ den Lichtkegel der Taschenlampe durch die Schwärze gleiten, doch er fiel auf keine kleinen, pelzigen Tiere. Er brachte die Treppe hinter sich und ging auf die Leichen zu. Als er sie erreichte, stockte ihm der Atem, und er riß die Augen auf.
Die Toten lagen nicht mehr unter den Laken.
Nachdem der Soldat das Zimmer verlassen hatte, stand Cuza sofort auf, trat ans Fenster und blickte zur Brücke. Selbst im Licht des Mondes, der sich gerade über die Berggipfel schob, fiel es ihm schwer, die gegenüberliegende Seite der Schlucht zu erkennen. Iuliu und Lidia … Bestimmt hatten sie gesehen, was geschehen war. Sie würden Magda helfen.
Der Professor hatte seine ganze Willenskraft aufwenden müssen, um nicht aus dem Rollstuhl zu springen, als dieser verdammte SS-Soldat Magda niedergeschlagen hatte. Kämpffer und die anderen hätten auf keinen Fall merken dürfen, daß er wieder gesund war. In einem solchen Fall hätte der Sturmbannführer sicher Verdacht geschöpft – und all das wäre in Gefahr geraten, was Cuza und Molasar planten. Derzeit kam es nur darauf an, daß sie ihre Absichten verwirklichen konnten. Hitlers Tod genoß absoluten Vorrang.
»Wo ist er?«
Beim Klang der dumpfen Stimme drehte sich der Professor um. Molasar stand im Schatten und nahm eine drohende Haltung ein.
»Er lebt nicht mehr«, erwiderte Cuza und spürte, daß sich ihm der Untote näherte. »Der Glaeken ist tot.«
»Unmöglich!«
»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er starb. Er versuchte zu fliehen, und daraufhin erschossen ihn die Deutschen. Vielleicht sah er keinen anderen Ausweg. Vielleicht wußte er, was ihn hier erwartete.«
»Wo befindet sich die Leiche?«
»Sie liegt in der Schlucht.«
»Sie muß gefunden werden!« Molasar stand so dicht vor ihm, daß der durchs Fenster sickernde perlmuttene Mondschein auf sein
Weitere Kostenlose Bücher