Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
bildete sich auf seiner Stirn.
Noch ein weiterer Schritt, nicht ganz so lang wie die anderen.
Kratzen und Schaben, Kratzen und Schaben …
Wörmann zitterte am ganzen Körper und wünschte sich nichts sehnlicher, als sofort aus dem Gewölbe zu fliehen, nach oben ins Licht der Glühbirnen zurückzukehren, die Feste zu verlassen und für immer aus seinem Gedächtnis zu verbannen.
Trotzdem holte er tief Luft und schaltete die Taschenlampe ein. Es dauerte einige endlose Sekunden, bis sich seine Augen an das plötzliche Licht gewöhnten und sein Geist begriff, was er sah.
Wörmann schrie, taumelte zurück, lief an den Ratten vorbei und rannte durch den Tunnel. Doch kurze Zeit später blieb er wieder stehen, und neues Entsetzen packte ihn.
Jemand stand in der Passage und versperrte ihm den Weg.
Er richtete den Lichtkegel der Taschenlampe auf die Gestalt, sah ein bleiches, wächsernes Gesicht, einen dunklen Umhang, langes, strähniges Haar, zwei Strudel des Wahnsinns anstelle der Augen. Wörmann wußte Bescheid: Dies war der Herr des Kastells.
Wörmann bemühte sich, die Angst in seinem Innern einzukapseln. Der Offizier in ihm erwachte.
»Laß mich vorbei!« sagte er im Befehlston und hob das silberne Kreuz. »Im Namen Gottes, im Namen von Jesus Christus und allen Heiligen – hebe dich hinfort!«
Aber die Gestalt wich nicht etwa zurück, sondern kam näher und lächelte höhnisch – ein Grinsen, das lange, gelbe Zähne zeigte und das blasse Gesicht in eine Fratze verwandelte.
Seine Augen … O Gott, seine Augen … Wörmann konnte sich nicht von der Stelle rühren. Er stand wie gelähmt und dachte an das Grauen, das ihn erwartete. Er hielt die Taschenlampe so, daß sich ihr Licht auf dem Kreuz widerspiegelte. Ein Kreuz! Vampire fürchten sich vor solchen Symbolen!
Er atmete rasselnd.
Gott, wenn es dich wirklich gibt … Steh mir bei!
Eine Hand schob sich aus der Dunkelheit und griff nach dem Kreuz. Der Unheimliche hielt es zwischen Daumen und Zeigefinger, und Wörmann beobachtete, wie es sich langsam verbog und in einen formlosen Klumpen Metall verwandelte. Das Wesen warf ihn achtlos fort.
Der Major schrie erneut, als die gleiche Hand auf seine Kehle zielte. Er duckte sich zur Seite, war jedoch nicht schnell genug.
27. Kapitel
Magda kam langsam wieder zu sich und spürte, daß etwas oder jemand an ihrer Kleidung zerrte. Von der rechten Hand ging ein seltsamer Schmerz aus. Sie schlug die Augen auf und sah einen dunklen Schatten über sich, der an ihrem Finger zog.
Wo bin ich? Und warum das Pochen an der Schläfe?
Vage Erinnerungsbilder formten sich in ihr. Glenn, die Brücke, feuernde Maschinenpistolen, die Schlucht …
Glenn – tot! Es war kein Alptraum, sondern die Wirklichkeit. Glenn lebte nicht mehr!
Mit einem leisen Stöhnen richtete sie sich auf, und der Schatten vor ihr wich zurück und lief in Richtung Dorf davon. Als sich das Schwindelgefühl legte, tastete Magda nach ihrer Schläfe und zuckte zusammen, als sie die angeschwollene Haut berührte.
Gleichzeitig bemerkte sie ein Stechen im Ringfinger. Jemand hatte versucht, den goldenen Ehering ihrer Mutter abzuziehen. Einer der Dorfbewohner! Wahrscheinlich hielt er mich für tot – und bekam einen gehörigen Schrecken, als ich erwachte.
Magda stand auf, und daraufhin begann die Welt um sie herum einen wirbelnden Tanz. Als sich die Konturen verfestigten und stabilisierten und die Übelkeit und das Rauschen in ihren Ohren nachließen, setzte sie sich in Bewegung. Bei jedem Schritt zuckte sengender Schmerz durch ihren Kopf, aber schließlich ließ sie die Brücke hinter sich und erreichte das Gebüsch auf der anderen Seite der Schlucht. Ein poc kennarbiger Halbmond hing am Himmel. Magda konnte sich nicht daran erinnern, ihn vorher gesehen zu haben. Wie lan ge war sie ohnmächtig gewesen? Sie mußte zu Glenn!
Er lebt noch, versuchte sie sich einzureden. Ja, ganz bestimmt. Doch die Vernunft widersprach diesem Gedanken. Magda erinnerte sich an ratternde Maschinenpistolen und an Glenns Sturz von der Brücke.
Magda schluchzte und stolperte zu der steilen Böschung. Sie zögerte kurz, bevor sie mit dem Abstieg begann – wie vor zwei Nächten. War es wirklich nur erst zwei Nächte her? Die Zeitspanne erschien ihr wie eine Ewigkeit. Der Nebel reichte bis zur Straße. Was für ein Wahnsinn, ihr eigenes Leben zu riskieren, nur um Glenns Leiche zu suchen! Aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Sie sehnte den Tod herbei – den Tod, der sie
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