Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Liste seiner Möglichkeiten. Bevor er nach Ploeşti fahren und dort seinen Posten als Kommandant des neuen Umsiedlungslagers antreten konnte, mußte er das Problem in der alten Festungsanlage lösen, und zwar ein für allemal. Wenn er versagte, würde ein anderer ehrgeiziger SS-Offizier seine Stelle einnehmen; dann würde er abgeschoben und mit irgendwelchen unwichtigen Büroarbeiten beauftragt werden, während seine Kollegen die Herrschaft über die ganze Welt antraten.
Ich brauche Wörmanns Hilfe, überlegte er. Wenn es mir gelingt, ihn für einige Tage zurückzuhalten, machen wir dem Spuk ein Ende. Und anschließend bringe ich ihn vors Kriegsgericht, weil er die Geiseln freigelassen hat.
»Was halten Sie davon, Klaus?« fragte er leise.
»Wovon?« erwiderte Wörmann aufgebracht.
»Was steckt Ihrer Meinung nach hinter den Morden?«
Wörmann setzte sich wieder und starrte sorgenvoll ins Leere. »Ich weiß es nicht. Ich habe längst aufgehört, mir solche Fragen zu stellen. Inzwischen liegen acht Leichen unter dem Keller, und wenn wir länger bleiben, werden es noch mehr.«
»Klaus, Sie sind schon seit einer Woche hier. Bestimmt haben Sie eine Vermutung.« Sprich weiter, dachte er. Je länger du sprichst, desto länger dauert es, bis ich in mein Quartier zurückkehren muß. Die Dunkelheit hielt entsetzliche Erinnerungen bereit.
»Meine Leute glauben, der Mörder sei ein Vampir.«
Ein Vampir – was für ein Unsinn! Kämpffer ließ sich nichts anmerken und trug weiterhin einen freundlichen Gesichtsausdruck zur Schau.
»Und was meinen Sie?«
»Vor einer Woche – Himmel, vor nur drei Tagen! – hätte ich so etwas für absurd gehalten. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Wenn sich hier wirklich ein Vampir herumtreibt, verhält er sich völlig anders als die finsteren Burschen in Horrorromanen oder entsprechenden Filmen. Wie dem auch sei: Ich bin davon überzeugt, daß unser Gegner kein Mensch ist.«
Kämpffer rief sich ins Gedächtnis zurück, was er über Vampirgeschichten wußte. Das fremde Etwas – trank es das Blut der Getöteten? Schwer zu sagen – die Kehlen der Opfer waren weit aufgerissen, und wo sie starben, blieb eine Menge Blut zurück. Nur mit einer genauen medizinischen Analyse ließe sich feststellen, ob etwas fehlte. Der Sturmbannführer erinnerte sich in diesem Zusammenhang an den Stummfilm Nosferatu und an die amerikanische Version des Dracula , die er mit deutschen Untertiteln gesehen hatte. Das lag schon Jahre zurück, und damals erschien ihm die Vorstellung von Vampiren grotesk und lächerlich. Jetzt aber … Himmel, soll ich meine Männer etwa mit Hämmern und Pflöcken anstatt mit Maschinenpistolen bewaffnen?
»Wir müssen der Sache auf den Grund gehen«, sagte er nach einer Weile, als seine Überlegungen ohne Ergebnis blieben.
»Und wo befindet sich der ›Grund‹?«
»Sie stellen die falsche Frage, Klaus. Es geht nicht um das Wo, sondern um die Frage, wer dahintersteckt. Die Feste ist aus einem ganz bestimmten Grund errichtet worden, und irgend jemand sorgt dafür, daß sie in einem perfekten Zustand erhalten wird. Warum?«
»Alexandru und seine Söhne wissen nicht, wer der Eigentümer des Kastells ist.«
»Das behaupten sie jedenfalls.«
»Weshalb sollten sie lügen?«
»Jemand bezahlt sie für ihre Arbeit.«
»Der Wirt nimmt das Geld entgegen und gibt es an Alexandru weiter.«
»Dann schlage ich vor, daß wir mit ihm sprechen.«
»Sie sollten ihn fragen, ob er die Worte an der Wand übersetzen kann«, brummte Wörmann.
Kämpffer runzelte die Stirn. »Was für Worte? An welcher Wand?«
»Im Korridor, in dem Ihre Leute gestorben sind. Mit ihrem Blut ist etwas an die Mauer geschrieben worden.«
»Auf rumänisch?«
Wörmann zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich verstehe die Sprache ohnehin nicht.«
Kämpffer sprang mit einem Satz auf. Endlich gab es wie der etwas zu tun – und mit Angelegenheiten dieser Art kann te er sich aus. »Ich lasse den Wirt sofort holen.«
Der Mann hieß Iuliu, war dick, knapp sechzig Jahre alt und hatte eine Stirnglatze und einen dünnen Oberlippenbart. Seine fleischigen und seit mindestens drei Tagen unrasierten Wangen zitterten, als er durch den kalten Korridor geführt wurde, in dem Flick und Waltz ums Leben gekommen waren.
Kämpffer stand in der dunklen Türöffnung eines Zimmers, beobachtete den Wirt und fühlte, wie seine alte Zuversicht zurückkehrte. Der verwirrte, ängstliche Gesichtsausdruck des Mannes
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