Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
die der gesamten SS zu.
»Die Geiseln werden nicht sterben«, entschied Wörmann, als hätte er die Gedanken des Sturmbannführers erraten.
»Was?« Kämpffer sah von seinem Glas auf.
»Die Leute aus dem Dorf. Sie werden ihnen kein Haar krümmen. Ich habe sie bereits gehen lassen.«
»Wie können Sie es wagen!« Der Zorn gab ihm neue Kraft und das Gefühl, am Leben zu sein, zurück. Der Sturmbannführer stand auf.
»Sie sollten mir eigentlich dankbar sein«, sagte Wörmann kühl. »Durch meine Entscheidung erübrigt es sich, daß Sie später erklären müssen, warum Sie die Bewohner eines ganzes Dorfes umgebracht haben. Darauf würde es nämlich hinauslaufen. Ich kenne Leute Ihres Schlages. Sobald Sie einmal begonnen haben, machen Sie weiter, auch wenn Sie wissen, daß es nichts nützt. Sie ziehen es vor zu töten, an statt eigene Fehler einzugestehen. Aus diesem Grund hinde re ich Sie daran, mit so etwas zu beginnen. Schieben Sie Ihr Versagen meinetwegen mir in die Schuhe. Ich bin bereit, die Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich nur endlich die Erlaubnis bekomme, dieses Kastell zu räumen.«
Kämpffer nahm wieder Platz und mußte zugeben, daß ihm Wörmanns Verhalten tatsächlich einen Ausweg anbot. Andererseits konnte er dem Oberkommando nicht melden, daß es ihm unmöglich gewesen war, seinen Auftrag durchzuführen. Ein solcher Bericht hätte das Ende seiner Karriere bedeutet.
»Ich gebe nicht auf«, erwiderte er.
»Wir sind machtlos, begreifen Sie das doch endlich! Es gibt keine Möglichkeit, den Mörder aufzuhalten.«
»Ich werde eine finden.«
»Und wie wollen Sie gegen ihn vorgehen?« Wörmann lehnte sich zurück und faltete die Hände über seinem Bauch. »Sie wissen nicht einmal, womit wir es zu tun haben.«
»Mit unseren Waffen! Mit Feuer! Mit …« Kämpffer brach ab, als sich der Wehrmacht-Major vorbeugte.
»Hören Sie, Herr Sturmbannführer: Die Männer waren tot, als sie in Ihr Zimmer marschierten. Tot! Wir haben ihr Blut im hinteren Korridor gefunden. Sie sind in der Sektion gestorben, die Sie in einen Kerkerbereich verwandelt haben. Und doch sind sie durch den Korridor gewandert und haben die Tür Ihres Quartiers zertrümmert. Sie sind zu Ihrem Feldbett gegangen und auf Sie gefallen. Wie wollen Sie so etwas bekämpfen?«
Kämpffer schauderte, als er sich daran erinnerte. »Sie sind erst in meinem Zimmer gestorben! Pflichtbewußtsein und Loyalität haben sie veranlaßt, trotz ihrer tödlichen Wunden zu mir zu kommen, um Bericht zu erstatten!« Er glaubte kein Wort davon.
»Sie waren tot , Menschenskind!« entfuhr es Wörmann. »Sie haben darauf verzichtet, sich Ihre Leichen anzusehen. Sie hatten genug damit zu tun, die vollgeschissene Unterhose zu wechseln. Aber ich habe sie untersucht, so wie jeden einzelnen meiner Männer, die in dieser gottverlassenen Fe ste ums Leben kamen. Glauben Sie mir: Die Gefreiten sind auf der Stelle gestorben. Alle wichtigen Blutgefäße in ihren Hälsen waren zerrissen, ebenso wie die Luftröhren. Sie konnten keinen Schritt mehr gehen.«
»Dann wurden sie eben getragen!« Kämpffer wehrte sich dagegen, sich der gräßlichen Realität zu stellen – obwohl er alles mit eigenen Augen gesehen hatte. Tote spazierten nicht einfach umher!
Wörmann seufzte und musterte Kämpffer mit solcher Verachtung, daß sich der SS-Offizier plötzlich splitterfasernackt vorkam.
»Hat man Ihnen in der Schutzstaffel auch beigebracht, sich selbst zu belügen?«
Kämpffer gab keine Antwort. Er brauchte nicht die Ergebnisse einer medizinischen Untersuchung der beiden Lei chen, um zu wissen, daß Flick und Waltz tot gewesen wa ren, als sie in sein Zimmer kamen. Er hatte es in dem Augenblick gewußt, als das Licht der Lampe auf ihre Gesichter fiel.
Wörmann erhob sich und ging zur Tür. »Ich sage den Männern, daß wir morgen früh aufbrechen.«
»Nein!« Kämpffers Stimme klang schrill.
»Sie wollen doch nicht etwa hierbleiben, oder?« fragte der Wehrmacht-Major ungläubig.
»Ich werde meine Mission erfüllen.«
»Sind Sie wahnsinnig, Mann? Inzwischen sollte Ihnen klar sein, worauf Sie sich eingelassen haben.«
»Mir ist nur klar, daß ich meine Methode ändern muß.«
»Nur ein Verrückter würde sich weigern, die Feste zu verlassen.«
Ich will nicht bleiben, dachte Kämpffer. Ich möchte ebenso gern fort wie die übrigen Männer! Unter anderen Umständen hätte er selbst den Befehl gegeben, das Kastell zu räumen. Aber diesmal stand diese Alternative nicht auf der
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