Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
erinnerte ihn an seine frühe SS-Zeit in München, als sie jüdische Ladenbesitzer am frühen Morgen aus den Betten geholt und vor ihren Familien verprügelt hatten.
Aber Iuliu war kein Jude.
Spielt eigentlich keine Rolle, dachte der Sturmbannführer. Juden, Freimaurer, Zigeuner, rumänische Wirte – es kam nur auf die Selbstgefälligkeit des Betreffenden an, auf sein Gefühl der Sicherheit. Diese Überzeugungen wollte Kämpffer zerstören, um seinen Opfern den inneren Halt zu nehmen. Sie mußten lernen, daß es keinen sicheren Ort gab, solange er in der Nähe weilte.
Kämpffer ließ Iuliu eine Zeitlang im Schein der nackten Glühbirne zittern. Zwei Mitglieder der SS-Einsatzgruppen hatten ihn zur Feste gebracht, zusammen mit allen greifbaren Aktenordnern und anderen Unterlagen. Der korpulente Mann schluckte hörbar, als er das Blut auf dem Boden, die dunkelroten Schmierereien an der Rückwand und die grimmigen Mienen der vier Soldaten, die ihn begleiteten, bemerkte.
Als Kämpffer ebenfalls die Kälte in den Fingern zu spüren begann, obgleich er Handschuhe aus schwarzem Leder trug, trat er ins Licht des Ganges. Iuliu wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Wem gehört das Kastell?« fragte der Sturmbannführer scharf.
»Ich weiß es nicht, Herr Offizier.«
Der Mann sprach ein gräßliches Deutsch, aber wenigstens brauchten sie nicht die Hilfe eines Dolmetschers. Kämpffer holte aus und schlug Iuliu mitten ins Gesicht. Hinter dieser Geste steckte keine Boshaftigkeit – sie war reine Routine.
»Wem gehört das Kastell?«
»Ich weiß es nicht!« schrie Iuliu.
Kämpffer schlug erneut zu. »Wer ist der Eigentümer?«
Der Wirt spuckte Blut und begann zu wimmern. Gut – er gab allmählich seinen Widerstand auf.
»Keine Ahnung!«
»Wer gibt Ihnen das Geld, mit dem Sie Alexandru und seine Söhne bezahlen?«
»Ein Kurier.«
»Und wer schickt ihn?«
»Ich weiß es nicht. Darüber gibt er keine Auskunft. Ich glaube, er kommt von einer Bank. Zweimal im Jahr besucht er uns.«
»Bestimmt unterschreiben Sie eine Quittung oder etwas in der Art. Und dort muß eine Adresse angegeben sein.«
»Ich unterzeichne einen Brief. Ganz oben steht ›Mediterrane Bank, Zürich.‹«
»Auf welche Weise erfolgt die Zahlung?«
»In Gold. In Zwanziglei-Goldmünzen. Ich gebe Alexan dru seinen Anteil, und er bezahlt seine Söhne. So ist es immer gewesen.«
Kämpffer beobachtete, wie sich Iuliu Tränen aus den Augen wischte und versuchte, Haltung anzunehmen. Die Mediterrane Bank in Zürich, dachte er. Ein Hinweis, der uns weiterbringen könnte. Er nahm sich vor, die SS-Zentrale zu verständigen und sie darum zu bitten, Nachforschungen anzustellen. Wer schickte einem Wirt in den Südkarpaten Goldmünzen von einer Schweizer Bank? Wenn sie eine Antwort auf diese Frage hatten, konnten sie Rückschlüsse auf den Kontoinhaber ziehen und dadurch vielleicht den Besitzer des Kastells finden.
Und dann?
Ein Hauch von Unsicherheit regte sich in Kämpffer, aber er verdrängte ihn sofort. Eins nach dem anderen, fuhr es ihm durch die Stirn. Wenn wir den Eigentümer kennen, kommen wir vielleicht zu wichtigen Informationen, mit denen wir das Geheimnis dieser Festungsanlage lüften können.
Der Sturmbannführer drehte sich um und starrte auf die sonderbaren Schriftzeichen an der Wand, geschrieben mit dem Blut der beiden Gefreiten Flick und Waltz.
»Was bedeuten die Symbole dort?«
»Ich weiß es nicht, Herr Offizier!« Iuliu zog unwillkürlich den Kopf ein, als er Kämpffers eisigen Blick spürte. »Bitte … glauben Sie mir … Ich weiß es wirklich nicht!«
Sowohl die Miene als auch der Tonfall deuteten darauf hin, daß Iuliu die Wahrheit sagte. Aber darauf kam es gar nicht an. Der Rumäne mußte bis an die Grenze seiner Belastbarkeit unter Druck gesetzt und als wimmerndes Häufchen Elend zu den anderen Dorfbewohnern zurückgeschickt werden, um den Ruf der SS zu stärken und den Bauerntölpeln im Ort eine Botschaft zu übermitteln: Wenn ihr nicht mit der Schutzstaffel zusammenarbeitet, ergeht es euch ebenso. Oder vielleicht noch schlimmer.
»Sie lügen!« donnerte Kämpffer und versetzte dem Wirt wieder einen Hieb. »Es sind rumänische Worte! Und ich will wissen, was sie bedeuten!«
»Diese Worte sind rumänischen nur ähnlich , Herr Offizier«, erwiderte Iuliu und duckte sich. »Für mich ergeben sie überhaupt keinen Sinn.«
Das bestätigte die Informationen, die Kämpffer aus seinen Wörterbüchern bezogen hatte. Er hatte an
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