Widersacher-Zyklus 03 - Die Gabe
Möbel oder das Haus selbst. Meine Schallplatten! All meine Singles, meine schönen Oldies but Goldies. Sie sind alle weg, zusammengeschmolzen zu kleinen, schwarzen Vinylklumpen. Sie waren meine Vergangenheit, weißt du. Ich fühle mich, als ob einfach jemand einen Teil von mir ausradiert hätte.« Er zuckte die Schultern und wandte sich ihr zu. »Nun, zumindest habe ich alles auch auf CD gebrannt. Und die habe ich in der Praxis und im Auto. Aber es ist nicht dasselbe.«
Irgendwas an seiner Sprechweise irritierte sie schon, seit er während des Gewitters in ihren Wagen gestiegen war. Jetzt bemerkte sie, was das war: Eine Spur Brooklyner Akzent schimmerte durch. Er hatte den Akzent damals zum Spaß benutzt, jetzt schien er Bestandteil seiner Sprache zu sein. Wahrscheinlich war der unglaubliche Stress Schuld, dem er ausgesetzt war.
»Vielleicht solltest du deine Frau benachrichtigen«, sagte Sylvia. »Sie wird sich Sorgen machen, wenn sie anruft und das Telefon funktioniert nicht.«
Sylvia wusste, dass seine Frau in Florida war. Sie wusste nicht genau warum, vermutete aber, dass die Dame offenbar der Meinung war, sie könne mit dem Wirbel um ihren Mann aus tausend Kilometer Entfernung besser umgehen.
»Mach dir darüber keine Gedanken«, sagte Alan, als er in dem Raum umherging und die Buchtitel auf den Regalen musterte. »Ginny hat mir neuerdings nicht mehr viel zu sagen. Sie lässt ihren Anwalt für sich sprechen. Seine letzte Nachricht war der Packen Scheidungspapiere, den ich heute gekriegt habe.«
Oh du armer Mann!, dachte Sylvia, als sie ihn betrachtete, wie er mit erzwungener Nonchalance die Buchrücken musterte. Er hat alles verloren. Seine Frau hat ihn verlassen, sein Haus ist abgebrannt, er kann nicht einmal in seine Praxis gehen, und wahrscheinlich verliert er sogar seine Zulassung. Seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft – alles weg oder bedroht! Gott! Wie kann er nur so dastehen, ohne zum Himmel zu schreien, dass ihm wenigstens eine Pause gewährt wird?
Sie wollte ihn nicht bemitleiden. Er selbst versank offensichtlich nicht in Selbstmitleid, und sie war sich sicher, er würde es ihr übel nehmen, wenn sie ihn bemitleidete.
Andererseits war Mitleid sicher ein gefahrloseres Gefühl als das, was sie außerdem für ihn empfand.
Sie begehrte ihn. Mehr, als sie seit Greg je einen Mann begehrt hatte. Und er war hier mit ihr allein in ihrem Haus – Gladys war nach Hause gegangen, nachdem sie Alans nasse Kleidungsstücke in den Wäschetrockner gestopft hatte, und Ba hatte sich eilig in sein Quartier über der Garage zurückgezogen. Alan konnte nirgends anders hin und all die moralischen Zwänge, die sie getrennt hatten, gab es nicht mehr.
Warum war sie dann so furchtsam? Es lag nicht am Sturm.
Sylvia zwang sich, zur Bar zu gehen. »Brandy?«, fragte sie. »Er wird dich aufwärmen.«
»Sicher. Warum nicht.«
Er kam näher.
Sie füllte Brandy in zwei Gläser, gab ihm eines und zog sich dann rasch zur entferntesten Ecke auf dem Ledersofa zurück, zog ihre Beine an und versteckte sie unter den Falten ihres Morgenmantels. Warum in Gottes Namen hatte sie sich aus- und diesen Morgenmantel angezogen? Nur damit er sich in Charles’ Morgenrock nicht ganz so unsicher fühlte? Was war mit ihr los? Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Offenbar hatte sie gar nichts gedacht. Ihre Hände zitterten, als sie das Glas an ihre Lippen hob und die brennende Flüssigkeit ihre Kehle hinunterlaufen ließ.
Sie wollte es nicht so. Ganz bestimmt nicht. Denn wenn sie und Alan sich näherkommen würden, wäre das keine weitere belanglose Affäre. Es wäre für immer. Die einzig wahre Liebe – noch einmal. Und sie konnte keine weitere einzig wahre Liebe ertragen, nicht nach dem, was Greg zugestoßen war. Sie konnte einen solchen Verlust nicht noch einmal riskieren.
Und sie würde Alan verlieren. Um ihn war eine Aura des Unheils. Er war einer dieser Männer, die taten, was sie tun mussten, egal was es kostete. Greg war genauso gewesen. Und was hatte er davon gehabt!
Nein. Sie konnte es nicht zulassen. Nicht noch einmal. Es spielte keine Rolle, was sie für Alan empfand. Sie würde die Distanz aufrechterhalten, ihm helfen und ihn wie einen teuren Freund behandeln. Und mehr nicht. Keine Verwicklungen.
Sie setzte also ihr Nur-gute-Freunde-Gesicht auf und sah ihm zu, wie er durchs Zimmer lief.
Aber während sie das tat, fühlte sie in ihrem Innern eine Flamme glühen, die versuchte, größer zu werden und sie zu
Weitere Kostenlose Bücher