Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
wirres Zeug zu reden? Er war schon seltsam, ihr Jonah. Selbst nach all diesen Jahren verstand Emma ihn nicht wirklich. Aber sie liebte ihn.
»Was redest du da?«
»Ich habe das jetzt schon länger als eine Woche gespürt, aber es war so vage, dass ich mir nicht sicher war. Jetzt bin ich es.«
Im Laufe der Jahre hatte Emma gelernt, sich auf Jonahs Vorahnungen zu verlassen. Er schien einen sechsten Sinn zu haben, wenn es um bestimmte Dinge ging. Manchmal war das schon unheimlich. Manchmal war es so, als könne er mit seinem blinden linken Auge Dinge sehen. Das Ereignis, dass ihr dabei am deutlichsten im Gedächtnis geblieben war, war dieser Tag 1941 gewesen, als er gefühlt hatte, dass das Baby, das sie adoptieren wollten, im Waisenhaus von St. Francis eingetroffen war.
Sie sah es jetzt wieder vor sich. Ein windiger Januarmorgen nur ein paar Wochen nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor. Die Sonne blendete, sie strahlte vom Himmel herunter und reflektierte vom Asphalt, der durch die Schneeschmelze noch nass war. Jonah war sehr aufgeregt gewesen. Er hatte in der Nacht eine Vision gehabt. Es war die, auf die er gewartet hatte. Er sagte, das sei der Moment, auf den sie sich vorbereitet hatten, indem sie nach New York gezogen waren.
Queens! Die Vision hatte ihm gezeigt, wohin in Queens er gehen musste. Und sie mussten in aller Herrgottsfrühe da sein.
Jonah vertraute seinen Visionen blindlings. Er richtete sein Leben nach ihnen aus – ihrer beider Leben. Jahre zuvor hatte eine Vision ihn veranlasst, mit ihr von Missouri nach New York City zu ziehen und dort ein neues Leben anzufangen, wobei sie vorgaben, katholisch zu sein. Emma hatte nicht begriffen, worum es ging – sie verstand selten etwas von dem, was Jonah tat –, aber wie immer war sie ihm gefolgt. Er war ihr Mann, sie war seine Frau. Wenn er von ihr wollte, dass sie sich von den Baptisten lossagte, nun, dann war das so. Sie war sowieso nie eine praktizierende Christin gewesen.
Aber warum gerade katholisch?
Jonah hatte seit ihrer ersten Begegnung nie das geringste Interesse an Religion gezeigt, aber er hatte darauf bestanden, dass sie sich in einer katholischen Gemeinde anmeldeten, dass sie jeden Sonntag zur Kirche gingen und er hatte sicher gestellt, dass sie dem Pfarrer persönlich bekannt waren.
An diesem Januartag fand sie heraus, warum. Als sie bei dem Waisenhaus für Jungen ankamen, erklärte er ihr, dass das Kind, auf das sie gewartet hatten, sich dort befand. Und als sie dann hineingingen und den Antrag stellten, einen neugeborenen Jungen zu adoptieren, gaben sie an, sie seien von Geburt an römisch-katholisch.
Niemand konnte ihnen etwas anderes beweisen.
Das Kind, das er haben wollte, war am Tag zuvor dort ausgesetzt worden. Jonah hatte sich das Baby genau angesehen, ganz besonders seine Hände. Es schien genau das zu sein, auf das er gewartet hatte.
Sie ließen die Hausbesuche, die Erkundigungen nach ihren persönlichen Verhältnissen und all diese Sachen über sich ergehen, aber das war es wert. Schließlich waren sie die stolzen Eltern des Kindes, das sie James nannten. Der Junge war das Beste, was ihr in ihrem Leben passiert war. Sogar besser als Jonah, auch wenn sie ihren Mann von ganzem Herzen liebte.
Und deswegen vertraute sie seinen Visionen so sehr, wie Jonah selbst es tat. Wenn die nicht wären, dann hätten sie Jim nie bekommen.
»Dann war also der berühmte Doktor Hanley sein Vater«, sagte er selbstvergessen. »Interessant.« Dann drehte er sich zu Emma um. »Das ist ein Zeichen. Es hat begonnen. Der Eine beginnt, Reichtum und Macht an sich zu ziehen. Es ist ein Zeichen, Emma. Ein gutes Zeichen.«
Emma hätte ihn am liebsten umarmt, verzichtete aber angesichts der Blutspritzer an seiner Berufsbekleidung darauf. Ein gutes Zeichen, das hatte er gesagt. Solange es auch für Jimmy gut war. Ein Chaos widerstreitender Gefühle tobte in ihr. Sie begann zu weinen.
»Was ist los?«, fragte Jonah.
Emma schüttelte den Kopf: »Ich weiß nicht. Nach all den Jahren, wo unklar war, wann … oder ob … und jetzt weiß er dann endlich, wer seine wahren Eltern sind …« Sie schluchzte. »Ich will ihn nicht verlieren.«
Jonah zog einen Handschuh aus und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
»Ich weiß, wie du dich fühlst. Es dauert jetzt nicht mehr lange. Wir bekommen unseren Lohn.«
Da, wieder, er redete wirr.
Sie umklammerte seine Hand mit ihren beiden Händen und betete, dass nichts ihr ihren Jimmy wegnehmen
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