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Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Titel: Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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Gefühl einer Einheit. Das war gut. St. Francis war alles, was sie an Familie hatten.
    Er begann bei Freddy. Der Prügel war ein normaler Wiffleschläger, hohl, aus leichtem Plastik. Er schwang ihn einmal und zog ihn über die Rückseite der Oberschenkel des älteren Jungen. Das Klatschen des Plastiks gegen Fleisch hallte laut durch den Gang.
    Bill wusste, so ein Schlag tat weh, aber nicht sehr. Wenn jemand mit einer sadistischen Ader das vornahm, konnte es eine schmerzhafte Bestrafung sein. Aber eigentlich ging es nicht darum, körperliche Schmerzen zuzufügen. Die Peinlichkeit, vor all den versammelten Freunden die Hosen hinunterzulassen und sich bücken zu müssen, hatte mindestens den gleichen erzieherischen Effekt, aber er musste den Prügel einsetzen. Als Symbol für die Autorität in St. Francis durfte dieses Bestrafungsinstrument keinen Staub ansetzen, wenn die Regeln gebrochen wurden.
    Er versetzte Freddy insgesamt vier Schläge, dann bekam Nicky die gleiche Anzahl, obwohl er bei ihm nicht ganz so viel Schwung holte.
    »Okay«, sagte Bill, nachdem das Klatschen des letzten Schlags verklungen war. »Die Show ist vorbei. Alle Mann zurück in den Schlafsaal.«
    Die Formation der Jungen brach auseinander und alle rannten in ihre Räume. Freddy rannte hinter ihnen her und zog sich im Laufen die Hose wieder an. Nicky blieb zurück.
    »Werden Sie noch meine Brille reparieren, Pater?«
    »Ach ja.« Er hatte das schon wieder vergessen.
    Nicky sah ohne seine Brille noch seltsamer aus als gewöhnlich. Er hatte einen missgestalteten Kopf mit einer Ausbeulung über dem linken Ohr. Seiner Akte zufolge hatte seine unverheiratete Mutter versucht, ihn sofort nach der Geburt durch die Toilette zu spülen. Dabei hatte er eine Schädelfraktur davongetragen und wäre beinahe ertrunken. Seitdem lag das Sorgerecht für ihn beim Staat und der katholischen Kirche. Neben dem verformten Schädel hatte er auch schlechte Haut – sein Gesicht war mit Warzen übersät – und eine eingeschränkte Sehkraft, die nur mit flaschenbodendicken Gläsern korrigiert werden konnte.
    Aber es war gar nicht mal so sehr sein merkwürdiges Aussehen als vielmehr sein Intellekt, der Nicky von den anderen Kindern abhob. Bei Intelligenztests schnitt er außerordentlich hoch ab und Bill hatte bei ihm eine immer stärker werdende Verachtung für weniger intelligente Menschen festgestellt. Deswegen wurde er immer wieder verprügelt, und es machte die ohnehin schon schwierige Aufgabe, eine Pflegefamilie für ihn zu finden, nicht leichter – er war weit intelligenter als die meisten der zukünftigen Adoptiveltern, die sich bei St. Francis um ein Kind bemühten.
    Aber trotz der Tatsache, dass er sich wie ein nervtötender Intellektueller im Westentaschenformat aufführte, konnte Bill nicht verhehlen, dass der Junge ihm ans Herz gewachsen war. Vielleicht war es eine Art Seelenverwandtschaft – Nickys Intelligenz war eine Kluft zu den anderen Kindern, so wie Bills Berufung einen Keil zwischen ihn und andere Menschen seiner Generation trieb. Mindestens einmal pro Woche spielten sie Schach miteinander. Es gelang Bill, die meisten der Spiele zu gewinnen, aber er wusste, dass das nur daran lag, dass er in dem Spiel mehr Erfahrung hatte. In spätestens einem Jahr konnte er froh sein, wenn es ihm gelang, gegen Nicky ein Remis zu erreichen.
    Als sie wieder in seinem Büro waren, nahm Bill einen kleinen Werkzeugkasten und versuchte, den Bügel wieder an der Brille zu befestigen. Nicky schlenderte herum und steckte seine Nase in jede Ecke des winzigen Raumes. Bill hatte während seiner Zeit in St. Francis schon bemerkt, dass Nicky, obwohl er eine scheinbar unersättliche Neugier auf die Welt und die Art hatte, wie Dinge funktionierten, überhaupt kein Interesse daran hatte, Dinge selbst zum Funktionieren zu bringen.
    »Wie wäre es mit einem Spiel?«, fragte Nicky, als er vor dem Schachbrett stand.
    »Das heißt ›Wie wäre es mit einem Spiel, Pater‹, und, wie du sehen kannst, habe ich gerade zu tun.«
    »Geben Sie mir einen Springer vor, und ich putze Sie in weniger als zwanzig Minuten.«
    Bill sah ihn nur an.
    »… Pater«, fügte Nicky schließlich hinzu.
    Es war ein Spiel, das Nick spielte. Er versuchte immer wieder auszutesten, wie weit er die Beziehung ausreizen konnte. Auch wenn Bill den Jungen wirklich mochte, musste er doch eine bestimmte Distanz wahren. St. Francis war nur eine Durchgangsstation. Er konnte nicht zulassen, dass Jungen, die von hier weg

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