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Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung

Titel: Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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»Jetzt gehst du erst mal rüber zur Wand und wartest auf Freddy.«
    Nicky sah ihn an als wolle er sagen: Du wirst mir das doch nicht wirklich antun, oder?
    Mit leiser Stimme sagte Bill: »Erwarte keine Extrabehandlung, Nicholas. Du kennst die Regeln, also bekommst du deine Hiebe wie jeder andere auch.«
    Nicky zuckte die Achseln und wandte sich ab.
    Bin ich deswegen zu den Jesuiten gegangen, fragte sich Bill, während er so mitten im Gang stand und dagegen ankämpfte, seine persönlichen Frustrationen an den Jungen auszulassen. Kindermädchen für einen Haufen wilder Jungen zu spielen war nicht die Zukunft, die er sich ausgemalt hatte.
    Ganz bestimmt nicht.
    Die Schriften von Pierre Teilhard de Chardin hatten ihn zur Gesellschaft Jesu gebracht. Bill war schon vorher klar gewesen, dass er zum Priester berufen war, aber de Chardins Schriften hatten ihn in ihrer intellektuellen Größe so beeindruckt, dass er gar nicht anderes konnte, er musste dem Orden beitreten, der so einen Denker hervorgebracht hatte – der Gesellschaft Jesu. Die Jesuiten galten als Vorreiter sowohl auf theologischem wie auf philosophischem Gebiet, die nach Überlegenheit bei all ihren Bemühungen strebten – und diese auch erreichten. Er wollte Teil dieser Tradition sein und jetzt gehörte er dazu.
    Mehr oder weniger.
    Der Orden veränderte sich so rasant wie die Kirche selbst und die Welt um sie alle herum. Aber hier war er von all dem so gut wie abgeschnitten.
    Nun, das würde nicht ewig so sein. Indem er sich diesen Gedanken als seine persönliche Litanei Tag für Tag wieder vorbetete, überstand er die Zeit hier in St. Francis.
    »Disziplinarpräfekt.« Das war sein Titel. Eigentlich bedeutete es nichts anderes, als dass er Kindermädchen und Vaterfigur für die Bewohner eines der letzten katholischen Waisenhäuser für Jungen in New York war.
    Ich, eine Vaterfigur! Was für ein Witz.
    Bill sah auf und sah die Bewohner von St. Francis vor sich aufgereiht im Gang, dreißig Jungen zwischen sechs und dreizehn Jahren. Freddy hatte bereits seinen Platz neben Jimmy in der Nähe des Fensters eingenommen. Alle waren still.
    Showtime.
    Dies war ein Aspekt seiner Funktion als Disziplinarpräfekt, den Bill besonders verabscheute. Er musste den Prügel benutzen. Aber es war eine Tradition in St. Francis. Es gab hier Verhaltensmaßregeln und es war seine Aufgabe, sie durchzusetzen. Wenn er das nicht tat, würde in kürzester Zeit der ganze Laden der Anarchie anheimfallen.
    So sehr er es auch gern ausprobiert hätte, war doch klar, dass Demokratie hier nicht funktionierte. Die meisten der Bewohner waren gute Jungen, aber ein paar von ihnen hatten Dinge durchgemacht, die für ein Kind die Hölle sein mussten, und das hatte sie zu ziemlich harten Brocken gemacht. Wenn man denen die Zügel schießen ließ, würden sie das Heim ins Chaos stürzen. Deswegen mussten die Regeln strikt und bei allen gleich durchgesetzt werden. Und irgendjemand musste das tun. Jeder Junge wusste, wo die Grenzen waren, und jeder wusste, wenn er sie übertrat, riskierte er die Bekanntschaft mit dem Prügel. In der Regel gegen Schlägereien war klar herausgestellt, dass, egal wer damit angefangen hatte, beide Parteien bestraft wurden.
    »Na gut, Jungs«, sagte er zu Freddy und Nicky, »ihr wisst beide, was zu tun ist. Hosen runter und in Position.«
    Sie wurden beide rot und begannen, ihre Gürtel aufzuschnallen. Quälend langsam ließen sie ihre dunkelblauen Uniformhosen zu Boden rutschen, drehten sich um, beugten sich vor und ergriffen mit den Händen ihre Knöchel.
    Ein kleiner brauner Fleck wurde auf der Rückseite von Freddys Boxershorts sichtbar, als er seine Hinterbacken durchdrückte. Jemand feixte: »Guckt mal, Schleifspuren!«, und die Zuschauerschaft lachte.
    Bill funkelte sie an. »Habe ich da jemanden gehört, der sich zu den beiden an die Wand stellen will?«
    Totenstille.
    Bill trat zu Freddy und Nicky und brachte den Prügel in Position, wobei er dachte, wie absurd es doch war, sie auf diese Art dafür zu bestrafen, dass sie sich geprügelt hatten.
    Das war nun wohl wirklich nicht im Sinne Ghandis.
    Aber auch nicht vollkommen nutzlos. Wenn die Regeln nicht zu streng waren und die Bestrafungen nicht zu hart, dann halfen der große, böse Bill und der Prügel dabei, die Jungen enger aneinanderzuschweißen, ohne sie zu brechen. Es half ihnen, eine Beziehung zueinander zu entwickeln, sie zu Brüdern im Geiste zu machen, ihnen ein Gemeinschaftsgefühl zu geben, das

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