Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
an.« Sie sah auf die Decke hinunter. »Ich dachte, wir wollten in der Laube essen.«
»Hier in der Sonne ist es wärmer.«
Sie ließ sich auf die Knie sinken und blickte auf die Thunfischsandwiches. Das bisschen Appetit, das sie gehabt hatte, war ihr bei dem Anruf vergangen.
»Woher wissen die, dass ich schwanger bin? Selbst ich habe das erst vor zwei Tagen erfahren.«
Bill setzte sich ihr gegenüber. Er schien auch nicht sonderlich hungrig.
»Das bedeutet, sie haben dich beobachtet.«
Carol sah sich um. Die Weiden, das Haus, die leere Bucht.
Beobachtet … Es machte ihr Angst. Plötzlich war sie froh, dass Jonah in der Nähe sein würde.
»Können die mich denn nicht einfach in Ruhe lassen?«
»Auf Dauer, ja. Wenn diese ganze Publicity schließlich abebbt, werden die eine andere Zielscheibe für ihre Paranoia finden. Bis dahin solltest du dir vielleicht Emmas Angebot noch einmal überlegen, bei ihnen zu wohnen. Oder vielleicht solltest du bei meiner Familie bleiben. Sie wären begeistert, wenn du da wärst.«
»Nein. Das ist jetzt das einzige Heim, das ich habe. Ich bleibe hier.«
Sie war wütend, dass sie es auch nur in Erwägung ziehen musste, sich vor diesen Wahnsinnigen zu verstecken. Aber sie machte sich Sorgen um das Baby. Konnten die wirklich die Absicht haben, dem Baby Schaden zuzufügen?
Jims Baby.
»Die Stimme am Telefon – ich glaube, es war eine Frau –, sie hat gesagt, ich würde den Antichrist austragen.«
Bill starrte sie an. »Und das glaubst du?«
»Na ja, nein, aber …«
»Kein aber, Carol. Entweder du glaubst, dass du mit einem ganz normalen Baby schwanger bist, oder du tust das nicht. Ein normales Baby oder ein übernatürliches Monster. Ich sehe dazwischen nicht viel Spielraum.«
»Aber wo Jim doch ein Klon war …«
»Oh, nicht schon wieder!«
»Na ja, was die da gesagt haben, macht mir zu schaffen. Was ist, wenn sie recht haben? Was, wenn ein Klon wirklich kein richtiger Mensch ist? Ich meine, das ist nur eine Züchtung aus den Zellen eines bereits existierenden menschlichen Wesens. Kann er dann eine Seele haben?«
Sie sah mit Unbehagen, wie Bills selbstbewusste Fassade bröckelte.
»Wie kann ich das sagen, Carol? In zweitausend Jahren Kirchengeschichte hat sich diese Frage nie gestellt.«
»Dann weißt du es nicht.«
»Ich kann dir aber so viel sagen: Jim war ein Mann, ein Mensch, ein Individuum. Er hatte ein Recht auf eine Seele. Ich glaube, er hatte eine.«
»Aber du bist dir nicht sicher.«
»Natürlich bin ich mir nicht sicher«, sagte er vorsichtig. »Das ist das, was den Glauben ausmacht. Man glaubt, wenn man sich nicht sicher sein kann.«
Sie dachte an die schrecklichen Träume, die sie immer wieder hatte, die Untaten der Weltgeschichte, die sie in ihnen durchlebte. Stammten diese Träume aus ihrem Schoß und drangen sie bis in ihr Unterbewusstsein vor? Was, wenn es mehr als nur Fantasien waren? Was, wenn es Erinnerungen waren?
»Aber was ist, wenn das, was du glaubst, falsch ist? Was, wenn Jim keine Seele hatte und der Teufel ihn als einen Durchgang zu … zu mir … benutzt hat?«
Sie verlor die Fassung. Sie spürte, wie ihr die Beherrschung entglitt. Dann streckte Bill die Hand aus und drückte die ihre.
»Ich habe dir erklärt, wie das mit dem Teufel ist. Er ist eine Projektion. Genau wie der Rest von diesem Nonsens. Das hier ist keine Horrorgeschichte, Carol. Das hier ist das wahre Leben. Antichristen gibt es in Romanen, nicht in Monroe, Long Island.«
Sie spürte, wie ihre Panik verging. Sie führte sich lächerlich auf. Aber in diesem Moment tauchte aus der Woge der Erleichterung ein plötzlicher Stich des Hasses auf Bill auf und auf den Trost, den er ihr brachte. Wieso?
Bill lächelte und hielt ihr die Platte mit den Sandwichs hin. Sie nahm eines. Sie fühlte sich jetzt viel besser. Vielleicht sollte sie wirklich etwas essen.
5.
Es wurde Zeit zu gehen.
Das Mittagessen, auch wenn sie es kaum angerührt hatten, war vorüber. Bill sah auf die Uhr und beschloss widerstrebend, sich auf den Weg zu machen. Es war ein hektisches Wochenende gewesen, ganz anders als die gemächliche Routine von St. F’s. Er wusste, allzu oft verkraftete er solchen Stress nicht. Wer würde das schon? Aber er begriff auch, dass der ganze Stress, den Carol ihm seit seiner Ankunft am Freitagnachmittag bereitet hatte, nur ein schwacher Abklatsch von dem Druck war, dem sie Stunde für Stunde, Tag für Tag ausgesetzt war. Es war schon schlimm genug, dass Jim vor
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