Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
das Mädchen für Grace fast wie eine Tochter gewesen. Sie hatte sie morgens zur Schule geschickt und war aufgeblieben und hatte sich gesorgt, wenn sie Samstagabends noch spät aus war. Sie hatte als Brautmutter bei der Hochzeit fungiert.
Carol würde nichts geschehen, nur dem gotteslästerlichen Wesen, das sie in sich trug. Aber Carol würde das nie verstehen, würde es ihr nie vergeben, und das war das Schlimmste dabei. Und trotzdem war Grace bereit, die Freundschaft ihrer Nichte für ihren Gott zu opfern, für das Heil der Menschheit.
Und Grace war sich sicher, dass irgendwann, wenn der Antichrist beseitigt war, die Polizei sie finden und verhaften würde, so wie die meisten derjenigen, die jetzt mit dabei waren. Es machte ihnen allen nichts aus. Sie waren für eine ruhmvolle Aufgabe bestimmt. Sie taten, was getan werden musste. Opus Dei. Das Werk Gottes. Und nachdem es getan war, lag ihr Schicksal in Gottes Hand.
Sie waren von heiliger Entschlossenheit erfüllt, sie alle. Acht Männer und fünf Frauen, wenn man Grace mitzählte, alle vom Heiligen Geist auserwählt, alle bereit, für ihren Gott zu sterben. Sie brauchte die Kraft der Männer für den Fall, dass sie jemanden überwinden mussten, der versuchte, Carol beizustehen. Und sie brauchte die Frauen, um ihr bei dem Eingriff zu helfen. Es wäre nicht recht, den Körper ihrer Nichte fremden Männern zu offenbaren, selbst nicht Männern, die vom Heiligen Geist angerührt waren. Daher würden die Frauen Carol festhalten, während die Männer dafür sorgten, dass sie ihre Aufgabe ungestört erfüllen konnten.
Sie schloss die Augen. Dies war ihre Erlösung. Sie konnte es fühlen. Mit dieser einen Tat konnte sie alle die Sünden ihrer vorherigen, ähnlichen Taten wiedergutmachen. Die Symmetrie war bestechend.
Aber wie konnte das auch anders sein? Schließlich kam sie von Gott.
8.
Carol sah ihm hinterher, als Bill den alten Kombi aus der Ausfahrt lenkte und hinter der Mauer verschwand. Plötzlich fühlte sie sich sehr allein. Sie ging ins Haus zurück, um bei Emma zu sein – ich muss wirklich verzweifelt sein –, und versuchte ihr dabei zu helfen, die Küche zu putzen. Aber Emma scheuchte sie weg und ermahnte sie, sich an die Anweisungen des Arztes zu halten und sich zu schonen.
Carol versuchte es. Sie schaltete den Fernseher ein und zappte sich durch die Programme: uralte Filme, Quiz-Sendungen, Hockey und Basketball. Sie griff sich zwei Bücher und legte sie dann wieder weg.
Sie fühlte sich rastlos. Sie war die letzten zwei Tage in einem winzigen Krankenhauszimmer eingesperrt gewesen. Sie wollte nicht einfach nur herumsitzen und nichts tun, denn wenn sie das tat, dann begann sie an Jim zu denken und daran, was ihm passiert war, und dass sie ihn nie wiedersehen würde …
Sie schlenderte zum Gewächshaus, um zu sehen, ob sie sich mit den Pflanzen beschäftigen konnte. Unter dem Glas war es heiß und trocken. Fast alles brauchte Wasser. Da war etwas, was sie tun konnte: die Pflanzen gießen.
Sie suchte nach einer Gießkanne, als sie die verdorrte Geranie bemerkte.
Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, sie müsse sich übergeben. Dann redete sie sich ein, dass es ein Irrtum sei – es war nicht die gleiche Pflanze. Es konnte nicht die gleiche Pflanze sein.
Aber sie war es.
Als sie sie sich näher ansah, sah sie, dass der lange Stängel, der vor einer Stunde noch grün und fest gewesen war, jetzt braun und abgestorben herabhing. Die hellroten Blütenblätter lagen auf dem Boden verstreut. Unter all den vor Kraft strotzenden Pflanzen gab es nur eine tote, verdorrte Blume – die, die sie berührt hatte.
Carol starrte sie noch einen Augenblick an, dann wandte sie sich ab. Sie würde sich davon nicht ins Bockshorn jagen lassen. Sie klammerte sich an Bills Erklärung, dass sie sich von anderer Leute Paranoia anstecken ließ, und ging direkt durch das Haus und zur Haustür hinaus. Sie musste weg von der Villa, weg von Emma, weg von allem.
Sie spazierte durch das Tor, ohne zu den Stahlspitzen hochzusehen, und ging stadteinwärts.
9.
»Das wäre erledigt«, sagte Jonah laut, als er den Hörer auf die Gabel legte. Er war allein im Wohnzimmer.
Er hatte seinen Vorarbeiter, Bill Evans, zu Hause angerufen und ihm eine Geschichte über langwierige familiäre Probleme erzählt, die mit dem Tod seines Adoptivsohns zu tun hatten, und dass er in den nächsten Wochen einen Teil seines angesparten Resturlaubs nehmen müsse. Evers hatte sich
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