Widersacher-Zyklus 04 - Erweckung
sehr mitfühlend gezeigt und sein Einverständnis signalisiert.
Jonah lächelte. Er hatte sich nie klar gemacht, wie nützlich ein Todesfall in der Familie sein konnte.
Plötzlich wurde der Himmel dunkel. Neugierig stemmte er seine hochgewachsene Gestalt vom Stuhl hoch und ging zum Fenster. Dräuende Wolken türmten sich nach Westen hin auf und verdunkelten die Sonne. Er erinnerte sich an den Wetterbericht, den er zuvor im Radio gehört hatte. Den ganzen Tag über sonnig und unverhältnismäßig warm. Andererseits war ein plötzliches Gewitter angesichts der Hitzewelle, die sie gerade hatten, nichts Ungewöhnliches.
Trotzdem war da etwas an diesen Wolken, das ihm ein mulmiges Gefühl gab.
Aus einer Eingebung heraus rief er in der Hanley-Villa an. Emma nahm ab.
»Wo ist Carol?«, fragte er.
»Sie ist hier irgendwo. Hast du deinen Urlaub bekommen?«
»Ja. Kannst du sie sehen?«
»Carol? Nein. Wann kommst du her?«
»Das ist jetzt egal. Geh und such sie!«
»Bitte, Jonah. Das hier ist ein großes Haus und …«
»Such sie!«
Jonah schäumte, während Emma sich auf die Suche nach Carol begab. Emma war ganz nützlich, aber manchmal war sie so furchtbar dämlich! Schließlich kam sie wieder zum Apparat. Sie schien außer Atem.
»Sie ist nicht da. Ich habe sie immer wieder gerufen, aber sie antwortet nicht.«
»Verdammtes Weib!«, brüllte er. »Du solltest sie im Auge behalten!«
»Das habe ich doch! Ich habe ihr Sandwichs gemacht, aber ich kann sie doch nicht jede Minute beobachten. Sie ist eine erwachsene …«
Jonah schmetterte den Hörer auf die Gabel und ging zurück zum Fenster. Die Wolken waren jetzt größer und dunkler und rasten auf ihn zu. Er wusste nun, dass das nicht nur ein plötzlich aufkommender Gewittersturm war.
Er rannte in die Garage und ließ den Wagen an. Er musste sie finden. Selbst wenn er dazu jede Straße in Monroe absuchen musste, würde er sie finden und in Sicherheit bringen.
Der Sturm hatte es auf sie abgesehen, und auf das, was sie in sich trug.
XXIII
1.
Als sie an der Uferpromenade entlangging, hörte Carol den Refrain von Otis Reddings »Sitting at the dock of the Bay« durch das offene Fenster eines vorbeifahrenden Autos. Sie erinnerte sich daran, wie begeistert Jim von dem Song gewesen war, als er ihn vor ein paar Wochen das erste Mal hörte. Jetzt war Jim tot, genau wie Otis.
Sie versuchte, die morbiden Gedanken abzuschütteln, aber wohin sie auch ging, auf irgendeine Art erinnerte sie alles an Jim. Und gerade jetzt brauchte sie ihn so sehr.
Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit wurden allmählich drückend. Der schwache Windhauch, der vom Hafen herüberzog, war wie der Atem eines großen Hundes, der ihr direkt ins Gesicht hechelte. Sie hörte ein schwaches Donnergrollen. Als sie aufsah, bemerkte sie eine riesige Wolkenformation, die über den Himmel fegte und die Sonne verdunkelte. Diese Gewitterfront schien es verdammt eilig zu haben. Flackernde Blitzentladungen züngelten unter den dunklen Wolkenbäuchen. Bevor sie noch wusste, wie ihr geschah, war das strahlende Nachmittagswetter verschwunden, verdrängt durch die stille, schwere Schwüle, die einem Gewitter vorausgeht.
Das fehlte mir jetzt gerade noch, dachte sie.
Jim hatte Gewitter immer geliebt, aber Carol verabscheute sie. Sie hatte sich immer eng an ihn gepresst, die Hände über den Ohren und die Augen fest zugekniffen, während er in fasziniertem Entzücken auf die Blitze hinausschaute. Je heftiger der Sturm tobte, desto besser gefiel es ihm.
Aber sie hatte niemanden, an den sie sich bei diesem Sturm anschmiegen konnte, und es sah aus, als würde das ein heftiges Unwetter werden. Sie kehrte um und hastete zum Shore Drive zurück.
Plötzlich griff der Sturm die Stadt an. Ein kalter Wind peitschte gegen die stehende warme Luft und trieb sie davon. Die Blitze verengten sich von hellem Flackern zwischen den Wolkenformationen zu niederfahrenden Speeren aus bläulich-weißer Elektrizität, der Donner schwoll von einem dumpfen Grollen zum Lärm wilder Giganten an, die mit monströsen Schmiedehämmern auf das blecherne Himmelsdach trommelten. Und dann der Regen – riesige windgepeitschte Tropfen erzeugten zuerst nur vereinzelte, silberdollargroße Flecken auf den Straßen und Bürgersteigen, gingen dann aber sofort in einen Schwall eisigen Wassers über, der den aufwirbelnden Staub in Schlamm verwandelte und ihn in sprudelnden Rinnsalen davontrug, die in kürzester Zeit zu zehn Zentimeter hohen Bächen
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